Der Mangel an IT-Fachkräften hat sich in jüngster Vergangenheit massiv zugespitzt. IT-Spezialisten befinden sich aufgrund der hohen Nachfrage daher in der komfortablen Situation, sich den Wunscharbeitgeber aussuchen zu können. Die Bandbreite der Möglichkeiten reicht von Start-ups über kleine und mittelständische Unternehmen bis hin zu großen Konzernen. Doch welches Umfeld ist für Experten am attraktivsten und welche Rolle werden Freelancer in Zukunft spielen?
82.000 offene Stellen – Tendenz steigend
Im Dezember 2018 waren 82.000 IT-Jobs nicht besetzt. Dies zeigt eine repräsentative Befragung des Digitalverbands Bitkom. Gegenüber 2017 (55.000 vakante Stellen) ist diese Zahl um stolze 49 Prozent gestiegen. Ein Ende dieser Entwicklung ist bis dato nicht in Sicht.
Was für Unternehmen eine Wachstums- und Innovationsbremse darstellt, ist aus Sicht der IT-Fachkräfte ein komfortables Szenario. Die Aussichten auf einen gut bezahlten Job sind bestens. Besonders begehrt sind laut Bitkom derzeit Software-Entwickler. Dahinter folgen Projektmanager, Anwendungsbetreuer, Qualitätsmanager, Experten für IT-Security sowie die verhältnismäßig neuen Berufsbilder Data Scientist und Virtual Reality Designer.
Unternehmen wetteifern um die passenden Kandidaten
Mittlerweile buhlen Unternehmen aller Größen um die besten Kandidaten. Neben Technologie-Konzernen wie Google, Microsoft und SAP zählen hierzu auch etablierte Unternehmen aus Traditionsbranchen wie Maschinenbau, Automotive, Finanzdienstleistungen, Handel und Pharma. Eine hohe Nachfrage kommt zudem aus dem wachsenden Bereich der Start-ups. Bessere Karten im Kampf um IT-Talente haben vermeintlich die großen Player. Sie verfügen schlicht über mehr Budget für reichweitenstarke Personalkampagnen, attraktive Gehälter, Boni, komfortable Büroinfrastrukturen und verschiedene Zusatzleistungen. Dennoch zieht es längst nicht alle IT-Fachkräfte in große Konzerne.
Deutliche Unterschiede zwischen Start-up-Life und Konzernalltag
Während Start-ups häufig mit Freiheit, lässiger Atmosphäre und Innovationskraft assoziiert werden, stehen Konzerne überwiegend für etablierte Strukturen und klar definierte Prozesse. Unterschiede existieren jedoch auch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Hier trifft die klassische Work-Life-Balance bei Großunternehmen auf eine „Work-Life-Integration“ bei Start-ups. Dies sind jedoch nicht die einzigen Faktoren, die sich auf die Arbeitgeberattraktivität auswirken. Im Folgenden sollen die charakteristischen Merkmale der beiden Modelle daher genauer beleuchtet werden.
Der Konzern: geregelte Abläufe, ruhigeres Fahrwasser und Bürokratie
In Großunternehmen geht es geregelt zu. Es existieren gewachsene Strukturen und Prozesse. Insbesondere für Neueinsteiger können diese „Leitplanken“ zunächst für ein Gefühl von Sicherheit sorgen. Zudem befinden sich in den bestehenden Teams meist Experten mit langjähriger Erfahrung, auf deren Wissen zurückgegriffen werden kann. Sowohl die Einarbeitung als auch das laufende Projektgeschäft wird hierdurch vereinfacht.
Für kreative Menschen, die auf schnellem Weg eigene Ideen umsetzen möchten, ohne dafür langwierige Entscheidungsstufen durchlaufen zu müssen, ist dieses Umfeld jedoch häufig ungeeignet. Zwar geht der Trend auch in Konzernen hin zur agilen Projektumsetzung, alte Hierarchien mit den entsprechenden Entscheidungsträgern sind aber immer noch anzutreffen.
Was das Arbeitsmodell betrifft, so sind in Großunternehmen oft nach wie vor geregelte Arbeitszeiten und flexible Überstundenkonten anzutreffen. Teilweise wird die Möglichkeit eingeräumt, im Home-Office zu arbeiten. Von vollständiger Flexibilität und Vertrauensarbeitszeit sind viele etablierte Unternehmen jedoch noch ein Stück entfernt. Positiv zu bewerten sind im Vergleich zu Start-ups hingegen die Gehälter und Zusatzleistungen sowie die höhere Job-Sicherheit.
Das Start-up: dynamisch, fehlertolerant und herausfordernd
Der Arbeitsalltag von IT-Experten folgt im Start-up einem flexibleren Prozess. Häufig ist Improvisationsvermögen gefordert. Es gilt, funktionierende Lösungen innerhalb kurzer Zeit zu entwickeln. Hierbei sind kreative Ideen aller Art durchaus erwünscht. Ebenso werden Fehler bewusst toleriert. Manifestiert wird diese Kultur häufig durch agile Methoden des Projektmanagements und Ansätze wie (Rapid) Prototyping.
IT-Fachkräfte arbeiten bei Start-ups fast immer teamübergreifend und mit hoher Eigenverantwortung. Aufgrund flacher Hierarchien fallen bürokratische Prozesse und lange Entscheidungswege weg. Sowohl Erfolge als auch Misserfolge werden meist direkt sichtbar.
Gerade für junge IT-Talente sind diese Attribute verlockend. Doch ist auch beim Start-up nicht alles Gold, was glänzt. Die Kombination aus umfangreicher Verantwortung, hoher Arbeitsgeschwindigkeit und ständig wechselnden Rahmenbedingungen stellt durchaus eine Belastung dar. Während einige Arbeitnehmer an diesem Druck wachsen, kann er andere schnell überfordern.
Festgeschriebene Arbeitszeiten und Arbeitsorte existieren im Start-up meist nicht – hier zählt vor allem das Ergebnis. Dieses Modell bringt einerseits ausgeprägte Flexibilität, kann die wöchentliche Arbeitszeit jedoch auch schnell in die Höhe treiben.
Klarer Trend zu selbstständigem und projektbezogenem Arbeiten
Als Zwischenfazit kann festgehalten werden: Sowohl Start-ups als auch Konzerne bieten bestimmte Vorzüge für IT-Talente. Dennoch haben beide Arbeitgebergruppen auch Schwächen und somit Schwierigkeiten, passende Fachkräfte zu finden. Eine mögliche Lösung für diese Problematik ist die Rekrutierung von Freelancern. Sie bietet sich an, da viele Aufgabenstellungen heute ohnehin in Form von Projekten mit hoher Eigenverantwortung der Teammitglieder umgesetzt werden. Vorteilhaft ist diese Herangehensweise jedoch nicht nur für Unternehmen, sondern auch für die IT-Freelancer selbst.
Selbstständigkeit als Beschäftigungsform der Zukunft
Die Mehrheit aller IT-Experten wünscht sich freie Zeiteinteilung und Ortsunabhängigkeit, um Privates und Beruf besser in Balance zu bringen. Auch möchten sie es sich ersparen, täglich mehrere Stunden auf dem Arbeitsweg zu verbringen. Mithilfe digitaler Arbeits- und Kommunikationsmittel ist dies heute problemlos umsetzbar. Hinzu kommt das Bedürfnis nach abwechslungsreichen, verantwortungsvollen Aufgaben und leistungsgerechter Vergütung.
Aufseiten der Unternehmen gilt es hingegen, innerhalb kurzer Zyklen neue digitale Produkte und Services zu entwickeln, um dem globalen Wettbewerb standzuhalten. Entsprechend müssen Fachkräfte mit unterschiedlichen Fähigkeiten kurzfristig auf neue Projekte angesetzt werden. Gefordert ist hierbei räumliche und zeitliche Flexibilität.
Legen wir diese beiden Anforderungsprofile abschließend übereinander, wird klar, dass ein hoher Deckungsgrad besteht. Schon heute boomt daher der Projektmarkt im IT-Umfeld. Die Bertelsmann Stiftung geht in einer Studie gar davon aus, dass Selbstständigkeit bereits im Jahr 2030 die häufigste Beschäftigungsform in Deutschland sein wird.
Alexander Schlomberg ist einer der beiden Gründer von expertlead. An der Stockholm School of Economics absolvierte er erfolgreich einen Doppelabschluss in BWL und VWL. Nach seinem Studium war er für drei Jahre bei McKinsey als Unternehmensberater tätig, wo er in erster Linie an Projekten zur digitalen Transformation arbeitete.