Obacht, hier geht es um Band 2!
Sie wollten sich gegenseitig umbringen, um etwas in ihrem Leben zu retten. Er wollte seine kleine Schwester retten, sie ihre große. Beide wollten nie in der ersten Reihe auf der Bühne stehen und sind doch ohne Umschweife dort gelandet. Beide fanden ein Schicksal, das sie miteinander verband und doch auf grausame Weise voneinander getrennt hält. Beide finden Zugang zur Welt der Magie und müssen lernen, dass Macht in den falschen Händen weitaus zerstörerischer sein kann wie ein böses Wort. Hin- und hergerissen ist Malik auf der Suche nach Anerkennung und erkennt erst langsam, dass nicht jeder Mensch es gut mit ihm meint. Karina, sobald sie sich eine große Entscheidung abgerungen hat, hält indes zu auf ein Ziel, das Sonande retten sollte und ihr Schicksal als dessen Königin besiegeln würde. Unaufhaltsam nähern sich Karinas und Maliks Lebenswege wieder aneinander an – doch auf welchen Seiten werden sie sich begegnen?
Der Leseeindruck
Dass die Charaktere nicht als epische Held:innen konzipiert wurden, war in Band 1 mehr als deutlich und es war eine Wohltat. Sie waren keine Halbgötter in spe, die nur auf ihre Berufung gewartet hätten. In Band 2 entwickeln sie sich weiter – stürzen aber in eine andere Falle: Die des „einen Fakt annehmen, nicht drüber reden und sich bissl reinsteigern“. Im Wesentlichen dient dieses Verhalten dazu, zu rechtfertigen, warum das Buch nicht deutlich früher endet. Denn würden die beiden miteinander reden, wäre der Großteil der Hindernisse aus dem Weg geräumt. Das fällt auf, weil es so oft passiert und bisweilen richtig dezidiert erklärt wird. Etwas eingekürzt wäre auch glatt gegangen im Sinne von „cooles Buch“. So wirkt es bisweilen zu konstruiert plus eingebautem Erklärversuch. Nebenbei allerdings bleiben sich die Charaktere treu und setzen fort, was in Band 1 als Grundlage geschaffen wurde. Nicht zu vergessen: Charaktere, die mal echte Schwächen besitzen, erweitern das Feld und die Handlungsmöglichkeiten enorm.
So wird beispielsweise ermöglicht, dass Karina endlich die Hauptstadt verlässt und wir mit ihr ihr Reich kennenlernen. Dabei lernt sie allerlei Menschen und Wesen kennen, die sie als Mensch wiederum reifen lassen. Eine nicht-binäre Nebenfigur mit interessanten Pronomen kommt genauso vor und wird – richtig gut gelungen – mal nicht verteufelt und gehört auch nicht zu den Bösen. Stattdessen lernt man als Lesende:r richtig entspannt den Einsatz nicht-binärer Pronomen in einem Fantasyroman kennen. Mehr Schauplätze, mehr Vielfalt bei den Charakteren = dickes Plus.
Die Fortsetzung ist von Anfang an spannend, man wird – so plakativ es klingt – wirklich schnell in das Geschehen gesogen und möchte das Buch nicht beiseite legen. Neben der rasanten Handlung und all den aufpeitschenden Irrungen und Wirrungen spricht die Autorin viele größere Fragen des Lebens an: Was ist Macht? Wie nutzt man sie? Wie manipulativ kann Liebe sein? Was wiegt schwerer in der Verantwortung? Ist man mit Magie besser als andere? Das sind enorme Fragen, die unsere Charaktere in einem sehr jungen Alter beschäftigen, was man bei der Beurteilung unbedingt berücksichtigen sollte. Inhalt gibt es also mehr als genug, um zusammen mit all den Emotionen in ihrer Gesamtheit eine wirklich gute Dilogie vorliegen zu haben. Leseempfehlung! Und Weihnachtsgeschenkempfehlung – mit dem Farbschnitt schindest du auf jeden Fall Eindruck.
A Psalm of Storms and Silence – die Magie von Solstasia. Roseanne A. Brown.
Knaur. 17,99 Euro.