Vorab – zu Harlan Coben gibt es hier schon einiges an Beiträgen. Wer seinen inneren Harlan Coben-Fan ausleben möchte, folge diesem Link zur Artikelübersicht.
In dieser Geschichte folgen wir dem Hauptcharakter Win, der im Zeichen der Familie unterwegs ist: In einem New Yorker Appartement lebte einst eine Art City-Eremit, der sich als ehemaliger Terrorist entpuppt – er wird ermordet aufgefunden. In seiner Wohnung findet sich ein Koffer mit Wins Initialen und dem zugehörigen Familienwappen, was die Polizei recht schnell zu ihm führt. Doch mit dem Mord hat er wirklich nichts zu tun, denn der Koffer ist vor langer Zeit in den Besitz von seiner Cousine Patricia gewandert – die vor einigen Jahren entführt und gefoltert wurde. Wie hängen diese beiden höchst seltsamen Fälle zusammen?
Win kämpft sich mit gesundem Selbstbewusstsein und einer Prise Arroganz durch Falschaussagen, folgt längst kalten Fährten und kommt doch auf keinen gemeinsamen Nenner: Wer hätte etwas durch den Mord am alten Terrorist gewinnen können, wie kommt der Koffer seiner Cousine in dessen Wohnung?
Ein unüblicher Hauptcharakter
Dieser Harlan Coben ist eher untypisch für den Autor: Der Hauptcharakter Win ist gefühlt eine bewusst gewählte Provokation. Er ist maximal selbstbewusst, superreich, datet per streng geheimer App, die nur die Schönsten der Reichen akzeptiert und setzt sich einfach immer durch – gerne auch durch sein Kampftrainings-Know-how. Zeitweise wirkt es, als hätte er Lee Childs Jack Reacher als Basis seiner Figur genommen und mit einer großzügigen Prise Kapitalismus neu auferstehen lassen.
Das klingt nicht nur rein zufällig irgendwie unsympathisch und damit fängt das Spiel des Autors auch schon an: Er ist der PROtagonist, wir stehen de facto also auf seiner Seite. Ein schöner Kniff, um internalisierte Mechanismen aufzuzeigen, weil man sich durchaus fragen sollte: „Warum kann ich ihn nicht leiden?“ Zeitgleich ist Win genau der Typ Ermittler, der sich nicht unbedingt an Gesetze hält und genau deswegen voran kommt. Der sein Leben aus einer Erzählperspektive betrachtet und sich selbst auch sehr gern im Spiegel. Und der sich freikauft, wenn er verhaftet wird.
Es ist also schon auf dieser Ebene ein schönes Hin und Her an Emotionen, was für einen Thriller, gerade aus Harlan Cobens Feder, nicht gerade typisch ist.
Ein kleines Manko
Ein Faktor ist tatsächlich nicht ganz ohne, denn aufmerksame Leser:innen werden sich nicht von dem Blendwerk rund ums Daten und belanglosen Sex täuschen lassen. Wer von Anfang an ein bisschen mitdenkt, wird schnell einige Faktoren bemerken, die in die richtige Richtung weisen. Seien es vorhandene oder fehlende Reaktionen anderer Beteiligter oder durch good old Fashioned mitdenken à la Sherlock, kommt die Lösung recht bald her. Der Coben-typische Twist am Ende ist nicht so phänomenal vom-Hocker-reißend, wie man es von anderen Werken des Autors gewöhnt sein könnte. Das Ende prägt dieses Buch ganz wesentlich, sodass es leider relativ schwer in der abschließenden Beurteilung einfließt.
Das Fazit
Ein locker flockiger Thriller, der jedoch nicht als Messlatte für Harlan Cobens Arbeit dienen sollte. Recht nett für zwischendurch, aber er hat schon deutlich bessere Bücher und Charaktere vorgestellt.
Harlan Coben. Nichts bleibt begraben.
Goldmann. 16 Euro.