Vielleicht hast du schon mal von der Betrügerin Anna Sorokin gehört, die die New Yorker High und Medium Society abgezockt hat. Sie hat sich auf sehr persönlicher Ebene Opfer gesucht, sie anfangs in eine großzügige Freundschaft hineingezogen und am Ende den Spieß umgedreht. Statt teure Personal Trainer-Stunden zu bezahlen, versagte mal ihre Kreditkarte, hatte sie ihr Portemonnaie vergessen und ähnliches. So ergaunerte sie sich nicht ganz 300.000 Dollar. Hier gibt es eine kleine Artikel-Reihe bei der Zeit rund um Anna Sorokin.
Erschienen ist jetzt der Bericht eines ihrer Opfer – Rachel Williams, die sich vor allem durch einen teuren Marrokko-Urlaub in die Miesen hat reiten lassen. Denn dort hat Annas Kreditkarte „versagt“ und so ein Urlaub beläuft sich dann mal auf 70 Tausend Dollar. Eine Schuldenfalle, aus der man als Normalverdiener nicht so leicht entkommen kann – ein echter Albtraum.
So schlimm es ist, was Anna Sorokin angestellt hat, so bedauernswert Rachel Williams Geschichte ist – so ausgiebig gleicht das Buch einfach einem riesigen Instagram-Post, ist also Selbstdarstellung pur. Zum einen finde ich es, höflich ausgedrückt, schon sehr naiv, sich so einen Betrag auf die Kreditkarten buchen zu lassen. Zumal Rachel nur in einer Fotoredaktion arbeitet und angeblich grad mal 410 Dollar am Konto hat.Das würde mir nicht im Traum einfallen.
Dazu kommt, dass Rachel sich hier sehr wohlüberlegt inszeniert – als treue, loyale Freundin (= nicht dumm), als verunsichert durch die Polizei (= jemand anders ist mit Schuld), als hart arbeitende Amerikanerin aus dem ländlichen Raum (= weil ihr Vater als Demokrat in einem republikanischen Wahlkreis antritt), als cooles IT Girl (= weil sie bei Vanity Fair gearbeitet hat und ständig auf Oscar-Partys und Co rumgehangen ist) und nicht zuletzt als eine Frau, die sich nicht unterkriegen lässt (= einen Buchdeal bekommen hat). Das wars aber noch lange nicht. Ihren Vater inszeniert sie geschickt für seine anstehende Wahl als liebevoll, leicht streng, supportive – also den perfect american Daddy.
Unabsichtlich unterhaltsam wird es, als sie alle Daten zu Anna sammelt und das so akribisch macht, dass sie ein „Kompliment“ der Ermittler ernst nimmt. Ob sie nämlich schon mal eine Karriere bei Polizei und Co in Betracht gezogen habe. Voller Stolz verkündet sie, das habe sie sogar! Vor oder während sie sich hat abzocken lassen?!
Insgesamt wirkt das Buch wie eine Rechtfertigung, warum sie sich so hat ausnehmen lassen und das ist unrealistisch, unsympathisch, entwickelt sich sehr langatmig und bietet nicht die Einblicke in das Geschehen, die man sich als Leserschaft wünschen mag. @theannadelvey gibt es übrigens noch als Account auf Instagram …
Rachel DeLoache Williams. My Friend Anna.
Goldmann Verlag. 10 Euro.