Rahel wächst in einer Gruppe fahrender Spielleute heran, nachdem ihre Mutter sie im Alter von sechs Jahren vor einem Pogrom rettete und rechtzeitig fortschickte – mit nichts als einer Anweisung, wohin sie zu gehen hätte und einem Vers, den sie unbedingt auswendig kennen sollte. Sie lässt ihre Existenz hinter sich und beginnt inmitten der Fahrenden ein neues Leben – bis eine Frau und ihr schweigsamer, loyaler Leibwächter auftauchen.
Die Frau gehört angeblich einem alten Bund an namens En Dor, der mystische Mächte verleihen kann und entsprechend gut versteckt ist. Rahel erfährt erst jetzt, dass ihre Mutter die Anführerin dieses Bundes war und der Vers ihrer Kindheit die Schatzkarte … Inmitten von Pogromen, die ganz Frankreich erschüttern, machen Rahel, ihr bester Freund Brendan und die Fremde sich auf den Weg, das Rätsel zu entschlüsseln. Sie sind immer nur einen falschen Schritt davon entfernt, den Falschen zu vertrauen und den Schrein an ihre Feinde zu verlieren.
Das Verhältnis von Fantasy und History
„Das Vermächtnis der Seherin“ ist keine epische Fantasy im Sinne von wild herum gefuchtelten Zauberstäben, es gibt keine Orks – wohl aber übernatürliche Wesen, die eher subtil oder eher wie Schatten in Erscheinung treten. Genauso wie die magischen Fähigkeiten. da mag es durchaus so scheinen, als würde der historische Anteil des Genres überwiegen – man sollte aber bedenken, dass die Geschichte in der Vergangenheit stattfindet. Jeder Atemzug, jedes Alltagserlebnis ist aus moderner Leser:innensicht „historisch“. Nicht auszumalen, was aus der Geschichte geworden wäre, hätte der Autor ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Magie und Geschichtlichem angestrebt. „Glitzernde Sternchen flogen aus dem Magischen Feuer empor, mit dem ganze Pogrome befeuert wurden“? Nein Freunde, das hat Christoph Lode schon richtig zueinander ins Verhältnis gesetzt.
Offenbarung für Alltagsrassismus
Die Selbstverständlichkeit, mit der die damaligen Stadteinwohner und Dörfler negativ auf Juden und wie empfänglich sie für hetzerisches Gerede dargestellt sind, offenbaren, wie tief Alltagsrassismus sitzt und wie schnell sich Menschen manipulieren lassen. Mag diese Geschichte eine fiktive sein, liefert sie doch ein prägendes Bild ab, das nicht unwahrscheinlich erscheint. Wer glaubt, dass es nur „damals“ so war, täuscht sich leider, denn Alltagsrassismus ist in fast jedem/r von uns verankert und es lohnt sich immer wieder, sich selbst mal den Spiegel vorzuhalten und ehrlich zu fragen, ob man nicht noch etwas an Verhaltens- und Denkweisen ändern muss. Nicht sollte, muss. Wer an dem Buch kritisieren möchte, dass man sich nicht in Rahel versetzen kann – in aller Ehrlichkeit wird nur ein Bruchteil der Leser:innen auch nur den Hauch einer Ahnung haben, wie die Gesellschaft auf Juden reagiert, damals wie heute. Damit ist die Position als Beobachter für den Großteil vorprogrammiert und daran ist nichts verkehrt.
Unterhaltsam und lehrreich
Das Buch ist keine absolute Neuerscheinung, bereits 2010 kam es bei einem anderen Verlag auf den Markt und hat nun ein deutlich schöneres und frischeres Cover erhalten. Doch es wirkt auch düster und damit wird die richtige Stimmung gesetzt: Der porträtierte Hass und die beständige Drohung liegt immer in der Luft, auch wenn Rahel und ihr bester Freund sich mit und ohne Weggefährten auf den Weg in eine bessere Zukunft machen. Wer wen verrät, Sachen verheimlicht und was es wirklich mit dem Schrein auf sich hat, sorgt auf Leserseite für ordentlich Spannung.
Das Fazit
Absolute Leseempfehlung für historische Mystery-Fans.
Das Vermächtnis der Seherin. Christoph Lode.
Knaur. 14,99 Euro.