Ihr Leben könnte nicht weiter ab vom Pfad einer Multiversen-umspannenden Tätigkeit einer Superheldin sein: Evelyn Wang, eine zugegeben nicht mehr junge Waschsalonbesitzerin. Sie hadert mit ihrem Leben, denn der Vater, der sie einst verstoßen hat, wohnt nun als Pflegefall bei ihr in den USA und ist biestig wie immer. Der Mann (Waymond), wegen dem sie verstoßen wurde, will sich von ihr scheiden lassen… Sie kennt nur noch den harten Alltag mit Arbeit, Steuererklärung und der Wäsche ihrer Kunden.
Da legt ebendieser Ehemann plötzlich sehr seltsame Verhaltensweisen an den Tag – er erzählt ihr, sie sei eine ganz besondere Frau, die mehrere Universen retten müsse und er sei ein ganz anderer Waymond! Evelyn, die sich nur in der harten Realität wohl fühlt, dreht fast durch, als er sie einfach mit in eine andere Welt nimmt. Wo just die Steuerbeamtin sie angreift, einem Kult angehört und es offenbar einen ganz elementaren Bösewicht gibt, dessen Anhänger Evelyn bunt und blutig an den Kragen wollen! Eine Realitätsverdrehung jagt die nächste und allmählich hat selbst Evelyn die Schnauze voll und holt zum Schlag aus …
Der erste Eindruck
Evelyn ist nicht nur eine Heldin, die keine sein möchte, sondern eine, die sich wirklich weit fernab irgendwelcher Realitätsverschiebungen bewegt. Das verspricht Spannung, denn ihre maximale Unflexibilität muss noch ganz weit aufgebrochen werden. Entsprechend lange dauert es, bis sie die Existenz der Multiversen akzeptiert. Dann aber denkt sie erst einmal nur an sich und wie ihr Leben hätte verlaufen können, wäre sie nicht mit ihrem Mann mitgegangen. Anstatt zu erkennen, dass er dennoch in jeder Lebenslinie auftaucht, sieht sie einmal den Ruhm und andere Fertigkeiten, die sie woanders erreicht hätte. Ihr Egoismus ist völlig in Übereinstimmung mit ihrer Figur und genauso erfrischend. Denn wie viele fiktive Helden akzeptieren ihre selbstlose Quest, ohne diese zu hinterfragen?
Für Kopf und Auge ist viel dabei
Ums Hinterfragen geht es sowieso recht häufig in diesem Film. Das schließt nicht nur die Ehe ein, sondern auch das Verhältnis zu ihrer Tochter. Die ist ein typischer, in den Staaten aufgewachsener Teenager, die auf dem Finanzamt für die Eltern dolmetscht. Sie schwankt zwischen (emotionaler) Unabhängigkeit und familiärer Verbundenheit und hat vermutlich als erste begriffen, dass diese spezielle Realität nicht wirklich lebenswert ist. Sie will ausbrechen, was dem Bösewicht in die Hände spielt, denn Grenzen übertreten eint die beiden und öffnet die eine für die andere. Hinterfragt wird auch, ob mit Gewalt alles lösbar ist, wann es Zeit für Gewalt ist und wann für Akzeptanz oder Liebe. Hinterfragt wird genauso, ob man eingefahrene Rollen im Leben aktiv hinter sich lassen kann. Neben ganz vielen abstrakten und bunten Outfits gibt es also auch allerlei für die grüblerischen Köpfe.
Insgesamt weist der Film durchaus seine Längen auf, die auch der besondere Cast rund um Michelle Yeoh nicht ganz zu überspielen vermag. Andererseits bekommt so jeder Charakter und jedes Problem die richtige Zeit, um sich zu entwickeln. Dieser Faktor ist nicht zu unterschätzen, da der Rest des Films sehr abstrakt ist und Unstimmigkeiten sich hier enorm auswirken würden.
Das Fazit
Super für alle, die mal wieder etwas anderes sehen wollen, die Spaß an alternativen Welten haben und kein Problem damit, dass Figuren auch mal ehrlich reflektieren und nicht nur Leistungsgesellschafts-Normen entsprechen. Zudem etwas Zeit und Geduld mitbringen, dann ist dieser Film großes Kino, das nicht gemacht wurde, um bequem zu sein.
Everything Everywhere all at once
Ab dem 12. August im Vertrieb der LEONINE STUDIOS in den gängigen Formaten fürs Heimkino verfügbar