Zugegeben: Die Überschrift ist für Sherlock-Insider. Wer noch nichts weiß von der BBC-Verfilmung hat jetzt besonders Glück – denn die Serie wird sozusagen durch einen Spielfilm unterbrochen: „Die Braut des Grauens“. Klar, dass Watson sich den Titel ausgedacht hat.
- Alle Bilder: Hartswood Films 2015
Eine Dame in Weiß, genauer gesagt in einem Brautkleid, steht auf einem Balkon, zwei Revolver in der Hand. Sie deutet mit ihnen wild in die Menge und fragt: „You?“ Dann schießt sie. Bis sie fragt „Me?“, sich vor den Zeugen einen Revolver in den Mund steckt und abdrückt. Am Abend kehrt sie zurück, diesmal mit einer Shotgun unter dem Arm. Ihr Witwer verlässt gerade angetrunken ein freundliches Haus und hat eine Fahne im Gepäck – und kriegt den Schock seines Lebens, als seine verstorbene Frau vor ihm steht. Zeit für eine Shotgun-Wedding! Fast ist es überflüssig, das zu schreiben, doch die überlebt er natürlich nicht. Hat der Geist seiner (selbst-)mörderischen Frau ihn tatsächlich mitten auf der Straße umgebracht? Watson kriegt es mit der Angst, Sherlock packt die Neugier: Wie kann man so etwas inszenieren? Denn letztendlich liegt tatsächlich die fragliche Dame als Leiche im Leichenschauhaus…
Die Kritik
Ganz neu: Der Sprung zwischen den Zeiten. Mal spielt in dieser Episode nur kurzzeitig in der Gegenwart und springt vielmehr zurück in die Zeit nach dem Second Afghan War der Briten, der im Jahre 1880 endete. Natürlich finden wir alle unsere heißgeliebten Charaktere auch in dieser Zeit wieder und wundersamerweise sehen sie sogar ziemlich gleich aus. Der Zeitenwechsel an sich ist aber keine einfache Marotte, sondern hat inhaltliche Bedeutung – und wurde ganz großartig aufgezogen! Denn wir erleben ein weiteres Mal, wie Sherlock und Watson sich begegnen. Politisch extrem unkorrekt sogar, denn während Sherlock in der modernen Fassung seine Hämatom-Theorie an einem Schwein übte, lässt er seine Energie in dieser Fassung tatsächlich an einer Leiche aus. Damit ist er Ton gesetzt: Es geht wohl etwas direkter zu!
Typisch für die Sherlock Reihe ist es, dass es längst nicht mehr um ein simples Verbrechen geht. Im Hintergrund spielen sich zu dieser Vergangenheit weit wichtigere Dinge ab: Der Kampf um das Frauenwahlrecht. Nun ist Sherlock nicht gerade als Frauenheld bekannt, welche Position wird er also beziehen? Ist die Mörderin vielleicht selbst nur ein Opfer? Wird ihre Handlung ein Freischein für alle unterdrückten Frauen, die sich von ihrem Mann nicht scheiden lassen können? Wer meint, das wäre politische Vergangenheit, sollte sich mal fragen, wie viele Länder das nicht so sehen. Nicht zu vergessen der weniger subtile Hinweis, wie oft europäischen Nationen das Land Afghanistan bereits mit Krieg überzogen haben. Nicht nur viel direkter diesmal, sondern auch politischer.
Aber das ist ja nur ein Film! Nein, den Gedanken streicht ihr euch. Für nicht-Fans mag es vielleicht nur ein Film sein, für alle anderen ein wichtiger Baustein: In der Serie bündeln sich viele Features aus anderen Sherlock Geschichten von Arthur Conan Doyle, die so noch nicht in den Serien aufgetaucht sind. Dem DVD Pack liegt nicht nur ein Silberling mit ausführlichen Extras bei, sondern auch ein schön gestaltetes und super informatives Heftchen mit tollen Hintergründen zu dieser Sonderepisode.
Kurzer Schwenk zurück zum Zeitenwechsel: Am Ende wird ein sehr guter Schritt in die Gegenwart vollzogen, der zeigt, warum diese Episode so stattfinden musste, wie sie war. Und welche Bedeutung sie für den modernen Sherlock hat, der doch eigentlich gerade ausgeflogen werden sollte, nachdem er den letzten Übeltäter erschossen hat …
Ein Muss für alle Fans, eine klare Empfehlung auch für Sherlock-Neueinsteiger – es gibt nichts, was ihr nicht verstehen könntet. Idealerweise schaut ihr die Episode auf Englisch, da euch sonst wirklich viele Sprüche entgehen!
Bettina Riedel (academicworld.net)
Sherlock Holmes, die Braut des Grauens
Eine Folge, etwa 90 Minuten
Ab dem 29. März als DVD und BluRay im Vertrieb der polyband GmbH im Handel erhältlich.