Ead ist eine Meisterkämpferin aus dem Orden des Geheimen Baumes und im Königreich Inys unterwegs auf geheimer Mission: Königin Sabrans Leben mit ihrem eigenen schützen, zur Not auch mit Magie. Dabei ist nicht nur Magie, sondern sind beispielsweise auch Drachen verdammt verpönt in Sabrans Reich Inys: Denn vor 1000 Jahren wurde ein massiv katastrophal mörderische Drache, der „Namenlose Eine“, nach andauerndem, zerstörerischem Krieg von einem Vorfahren Sabrans bezwungen und seither sind alle Drachen persönliche Endfeinde jedes Bewohners dieses Landes. Die Religion der Sechs Tugenden dominiert hier.
In einem anderen Eck der Welt lebt Tané, die in einer Religion rund um Drachen heranwächst: Für sie sind sie lebende Götter. Da die Drachen das höchste Gut sind, hat sich ihre Nation von allen anderen abgeschottet, in der eine für Drachen tödliche Krankheit grassiert. Als sie einen Mann, der plötzlich am Strand auftaucht, ins Land verhilft, bricht sie also sämtliche Immigrationsgesetze – und riskiert damit, dass sie ihre Prüfungen zur Drachenreiterin in den Sand setzt. Trotzdem hilft sie ihm und setzt damit eine Kette an Ereignissen in Bewegung, die sich zu einer echten Lawine entwickelt.
Nun vermehren sich die Zeichen, dass der 1000-jährige Schlaf des Namenlosen Einen sich dem Ende zuneigt …
Komplexe Welt mit solider Struktur
Die Welt ist relativ komplex und basiert neben geografischen Unterschieden vor allem auf religiösen Differenzen, was ein Dauerbrenner in unserer realen Welt ist. Insofern ist der Themenkomplex hochspannend, als Autorin aber auch schwierig zu navigieren. In Osten und Westen werden Drachen mal verehrt und mal verteufelt. Schnell wird klar, dass es gute und böse Drachen gibt, also noch einmal eine Abstufung. Das muss man sich einmal vergegenwärtigen – und sich darin einfinden, dass die Welt von den höflichen Umgangsformen her asiatisch geprägt zu sein scheint.
Es gibt viele Charaktere, die man zunächst einmal kennenlernen und lose im Hinterkopf behalten muss. Ihre Wichtigkeit kristallisiert sich erst Stück für Stück heraus – es bleibt aber alles übersichtlich. Wer aufmerksam liest, dürfte keine Probleme haben, Personen wie Ead, Tané, Königin Sabran, Dr. Niclays und Vicomte Arteloth nachhaltig zu folgen. Die übrigen sind Statisten, Mittel zum Zweck und unterstützen die hauptsächlichen Personae in ihrer Entwicklung.
Zögerliche Handlung, aber in sich kongruent
Hat man das alles mal verinnerlicht, geht es mit der Handlung los – etwas ruhiger, weil man sich ja erst einmal einfinden muss. Schnell ist klar, dass der „Namenlose Eine“ sich erheben wird und dem vorgelagert ist ein Schwarm an impliziter Action: Viele Wyrm werden sich erheben, die Legende rund um Königin Sabran und ihrer Familie wird in Frage gestellt (und damit eine ganze Religion). Die guten Drachen werden sich beteiligen müssen (und damit Tané), Königreiche müssen Allianzen schmieden (oder auch nicht) und mehrere unserer Helden müssen sich auf ihre ganz persönliche Heldenreise machen. Das alles anzuleiern in einem komplexen Kontext braucht mehr als ein paar wenige Seiten. Schlussendlich ein dennoch eher ruhiges Buch, Action ja, echte Überraschungen weniger. Hier kommt es darauf an, was man sich als Leser:in von dem Buch verspricht.
Feminismus? Kluger Feminismus!
Nicht zuletzt präsentiert die Autorin eine matriarchalisch geprägte Welt, die einerseits feministisch ist und auf der anderen Seite auch kritisiert werden muss – und in Form der Königin und Ead auch in die Mangel genommen wird. Sehr differenzierte Auseinandersetzungen, kluge Dialoge und weitreichende Gedanken – es ist ein Vergnügen, hier einzutauchen. Manchmal wirkt es, als würde man mit Freundinnen sprechen, so gut lernt man insbesondere Ead und Sabran kennen. Bei Tané ist es so, als würde man sich selbst im Buch wiederfinden. Sie arbeitet hart für ihre Ziele, ist einen Tick zu ehrlich und um sich durchzusetzen, geht sie auch mal einen Weg, für den sie sich hinterher doch schämt. Im Gegensatz zu unserer Realität bringt sie aber natürlich Leib und Leben ihrer Liebsten in Gefahr.
Übrigens: Band 1 hat über 500 Seiten – daher die Splittung des englischen Originals in 2 deutsche Bände, mehr wird es aber wohl nicht geben.
Fazit
Getragen, umfassend, magisch, nicht übertrieben, keine maßlose Theatralik. Mir persönlich hat Band 1 sehr zugesagt.
Bettina Riedel (academicworld.net)
Samantha Shannon. Der Orden des geheimen Baumes, Band 1 von 2.
penhaligon. 20 Euro.
Dies ist Band 1, zur Besprechung von Band 2 geht es hier entlang.