Toni ist der personifizierte Leistungsträger der stereotyp-westlichen Gesellschaft: Obwohl mexikanisch geprägt seitens der Vorfahren und in direktem Kontakt mit der Einwanderungsgeneration, beschließt er die volle Integration und verleugnet sein kulturelles Erbe bis ins Letzte. Als Journalist beginnt er beruflich idealistisch und verkauft dann seine Moral und die Seele an den Kapitalismus, der ihn an die Spitze einer Werbeagentur bringt. Bis er an den klassischen Punkt des Umdenkens kommt – sein Bruder stirbt und das hinterlässt eine Wunde, die er durch Leistungsstreben erst einmal nicht füllen kann.
Auf seiner Reise zu dem Ort, den dem die Asche seines Bruders verstreut werden soll, geschehen einiger dieser „Lebens-Zufälle“, denen wir gerne mehr Bedeutung zuschreiben. Durch sie trifft er auf den Mann an der Klippe, der dort ein Einsiedlerleben führt und potenzielle Selbstmörder von dem Sprung in die Untiefen bewahrt – indem er sie um etwas Gesellschaft bei einer Tasse Tee bittet.
Es fängt wirklich top an, gibt verschiedene Einblicke in alltägliche Leben, die in einem Horrorszenario enden könnten und weckt damit Aufmerksamkeit für das eigene Umfeld. Kuckt hin, fragt nach, hört wirklich zu und geht nicht einfach weiter, wenn ihr ständig nur „geht so“ hört. Man muss kein Einsiedler sein, um seinem Umfeld in Zeiten der Not beizustehen.
Toni jedoch ist ein spezieller Typ: Er kann Nichts ganz los lassen und versteht vieles sehr lange nicht: Er will die Geschichte vom Mann an der Klippe von Anfang an groß rausbringen, sich damit eine goldene Nase verdienen. Strukturell rutscht er damit in die Rolle des Schülers, der etwas Wichtiges über das Leben zu lernen hat und bekommt ausgerechnet einen asiatisch geprägten Lehrer. Außerdem, neben dieser eher klischeehaften Konstellation, nicht zu vergessen: Wenn die Welt von dem Mann an der Klippe erführe, würden so viele Menschen mehr dorthin strömen und ihn mit der Verantwortung über ihr Leben überhäufen. Der Zauber der aktuellen Situation dort wäre hinfällig und seine Existenz in der Hütte dort oben Geschichte. Doch er denkt nur an sich, an die Story, an das Veröffentlichen und das sich rehabilitieren, egal auf welche und vor allem wessen Kosten. Das ist so grundsätzlich unsympathisch, dass man als objektive:r Leser:in auf die erlösende Szene hingeiert, in der das große mentale Erwachen von Toni stattfinden könnte.
Für ein Buch, das Wert auf besondere zwischenmenschliche Situationen und über das Immaterielle im Leben legt, ist das Ende enttäuschend. Es scheint, als wäre entweder Wert auf Filmrechte gelegt worden oder den amerikanischen Buchmarkt, was genau es auch sein mag: Der Schluss ist klischeehaft bis ins letzte Detail, inhaltlich sehr kritikwürdig und man hofft einfach, dass der Charakter, fiktiv oder nicht, es in den weiteren Lebensjahren schafft, seinem Leben etwas weniger opportunistische Denkweisen und daraus resultierende Handlungen zu verpassen.
Schade, dass dieses Buch so weit hinter „Der Sternenfänger“ (sehr empfehlenswert) zurückbleibt.
Francesc Miralles, Ángeles Doñate. Jenseits des Abgrunds.
18 Euro. Diederichs Verlag.