Drei Prinzessinnen wachsen abseits des sozialen Durcheinanders der Großstadt heran – 2 davon folgen dem von der Gesellschaft vorgegebenen Weg. Nur Marie ist eine kleine Grüblerin, die mit ihrem Prinzessinnendasein hadert und damit für eine neue Generation steht.
Die Fürstin von Neustatt-Birkenstein hat sich nach dem Tode ihres Ehemannes mit den drei Töchtern auf das Landgut Gutheiden zurückgezogen. Um ihre Finanzen steht es nicht gerade gut, doch mit der Hilfe des Majors von Bützow und Graf von Streith kommt sie immer wieder über die Runden. Von Streith ist ein Kavalier der ersten Stunde in der letzten des Adels – er wartet sehnsüchtigst darauf, dass die Fürstin ihre nächste große Lebensaufgabe (die drei Töchter zu verheiraten) abhaken und sich dann final ihm zuwenden kann. Beide sind nicht mehr die jüngsten, umso mehr überrascht von Streith seine gedankliche Fokussierung auf Britta, eine junge Frau aus eher schlechtem Hause, mit dem offiziell nicht verkehrt wird. Sind es wirklich Gefühle, die er für sie hegt oder ist sie schlichtweg die personifizierte Jugend, von der er sich etwas mehr Lebensenergie erhofft? Britta selbst ist ihrerseits genauso überrascht, als plötzlich ein Antrag kommt und sie in die Position einer Gräfin erheben soll. Damit wäre sie plötzlich im sozial annähernd gleichen Himmel wie die drei Prinzessinnen, die Töchter der Fürstin. Davon haben zwei sich ins Ausland verheiratet, nur Marie, die Jüngste, bleibt wegen ihres kränklichen Lebens weiter im Elternhaus. Doch sie beginnt, mit Felix von ’nebenan‘ zu schäkern. Eine Verbindung, die wirklich niemand gut heißen würde – nicht nur aus Standesgründen …

Die Kritik
Auch wenn der Roman mit einer bestimmten Figur beginnt, so ist diese nicht die Hauptfigur. Wohl ist sie das Sinnbild der alten Welt der Aristokratie mit all dem Standesdünkel, den gesellschaftlichen Regeln und der sozialen Irrelevanz. Die wird immer deutlicher, je weiter man die Generation in die Moderne folgt: Graf von Streith öffnet sich der Jugend, also dem Wandel immer mehr, bis er glaubt, darin verliebt zu sein. Die Tochter Marie ist auch schon von einem ganz anderen Schlag als ihre Mutter: Sie hat das ewige Getue um ihr Prinzessinnen-Dasein ein wenig satt, ein wenig aber zu viel Angst, um richtig daraus auszubrechen. Stattdessen unternimmt sie kleinere Schritte und fällt auch so unweigerlich auf die Nase, weil sie gar nichts anderes kennt als das Leben im goldenen Käfig. Das große Unterthema des Romans ist also die adelige Welt, die immer mehr in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.
Entsprechend stehen die Menschen und ihr Seelenleben im Vordergrund, es finden sich sehr wenige Beschreibungen der örtlichen Begebenheiten im gesamten Roman. Eine zentrale Hauptperson sucht man vergebens, stattdessen nutzt der Autor ein kluges gewebtes Netz verschiedener Protagonisten, aus deren Sicht der Roman abwechselnd geschildert wird. Dass die Geschichte „Fürstinnen“ das erste Mal 1917 erschienen und damit 100 Jahre alt ist, merkt man dem Buch zunächst nicht an – Keyserling schreibt einfache, klare Sätze, die bemerkenswert unprätentiös sind. Darin zeigt sich, für welches Publikum der Autor geschrieben hat, nämlich nicht den oblesse nobligierten Adelsschichten.
Insgesamt ist es ein Buch, dass sich nicht durch große, effektvolle Handlungsverläufe hervortut, sondern vielmehr die Mikrokosmen der einzelnen Personen beleuchtet und das sehr gefühl- und taktvoll. Für entspannte und zwischenmenschlich interessierte Leser ein echter Genuss im Handtaschenformat!
Bettina Riedel (academicworld.net)
Eduard von Keyserling. Fürstinnen.
Manesse. 19,95 Euro.