Zirka 40er Jahre. Die Mulattin Lotus lebt in Haiti und hat ein sehr zerklüftetes Verhältnis zu ihrer Mutter, das ihr Leben sehr intensiv prägt. Als ihre Mutter stirbt, gondelt sie allein durch das Leben – zunächst recht ziellos, zunehmend aber findet sie in Gesellschaft und Politik immer mehr Anreize, um sich einzubringen. Sie erlebt die Ungerechtigkeiten der aktuellen gesellschaftlichen Ordnung gegenüber den Schwarzen und die stören sie massiv, auch wenn sie selbst von der Doppelmoral bisher profitiert. Sie beginnt, leisen Einfluss zu nehmen über eine Schule, Spenden, Unterstützung für ihre Freunde und Menschen, denen gegenüber sie einfach aufgrund ihres Menschseins positiv gestimmt ist. Durch ihre Liebe zu Georges, einem Anhänger der sich anbahnenden Revolution nimmt ihr eigenes Schicksal an Fahrt auf.
Anmerkung zum Hintergrund
Vorab sei angemerkt, dass dieses Buch keine Neuerscheinung ist, sondern in unsere Kategorie „Serious Lit“ gehört: 1954 schrieb es die Autorin und 3 Jahre später trug es sich im Wesentlichen ganz ähnlich zu – ein Diktator ergriff die Macht, der die soziale Struktur rund um Schwarze und Mulatten für sich ausnutzte. Damit wir es etwas einfacher haben, gibt es in dieser Ausgabe eine frische Übersetzung und genügend Anmerkungen, um das Verständnis zu erhöhen und das Flair des Buchs zu erhalten (bspw. durch kreolische Einschübe).
Frauen im Fokus
Wie der Titel sagt, geht es aber um Töchter, Plural! Und damit nicht nur um Lotus. Es geht um ihre Mutter und deren Schicksal, das Lotus erst sehr spät erkennt und sich durch falsche Annahmen lange zu Fehlern hat verleiten lassen. Genauso geht es um die Mutter und die Schwester ihres liebsten Georges. Es geht um ihre beiden Dienstmädchen, die eben nicht ganz ihrer Schicht entsprechen, der Revolution zugetan sind und sich von Lotus abgrenzen wollen. Auch Lotus nimmt den Standesunterschied war und ihn als normal hin – so macht sie sich auch schuldig. Die Abgrenzung der Schichten voneinander erfolgt notfalls mit Gewalt – und hier liegt das Problem der Revolution. Es gibt nur den Plan, die alte Regierung abzulösen, aber womit? Einer gesellschaftlichen Schicht auf Haiti, die Armut, Not, Elend und damit den perfekten Nährboden für Hass lebt. Denn diejenigen, die auf die Regierung folgen, sind zutiefst menschlich und haben nicht als erstes das Wohl der Armen im Sinn, sondern erst einmal ihr eigenes. Die Armen, die übrig bleiben, wollen ihr eigenes, neues Recht durchsetzen und das ist das Recht der Straße oder körperlichen Doominanz. Die zugehörigen Männer tauchen in dieser Geschichte durchaus auf, aber nur, wenn es wirklich nötig ist. Ansonsten verbringt man viel Zeit in Lotus Kopf, der durchaus durchwachsene Zustände kennt.
… und Lotus im Speziellen
Sie wächst wie völlig illusioniert heran, verschwendet viele theoretische Gedanken über das Leben an sich, aber scheint wenig pragmatisch veranlagt zu sein – sie muss bspw. auch nicht arbeiten. Bis sich ihr Leben immer mehr in die Richtung Revolution und Gesellschaftskritik ändert – und sobald sie die Unterdrückung wahrnimmt, möchte sie sie ausmerzen. Sie ist von einem starken Gerechtigkeitsempfinden getrieben und würde diesem auch ihre große Liebe opfern. Sie befreit sich damit selbst von den Ansprüchen, die ihre eigene gesellschaftliche Schicht an sie stellen würde, was de facto ja mindestens der Machterhalt wenn nicht sogar deren Steigerung wäre. Stattdessen verzichtet sie und möchte das Leid der anderen senken. Freilich rechnet sie in ihrer Naivität nicht den allgemeinen menschlichen Abgründen. Zeitgleich hat sie, während die Mulatten die Oberschicht inne hatten, keinen Gedanken auf die Vorteile verschwendet, von denen sie ganz selbstverständlich profitiert hat und die im Wesentlichen den ursprünglichen Hass der übrigen Haitianer geschürt hat. Diese Doppelmoral zieht sich durch das gesamte Buch und findet womöglich seinen Ausdruck in den psychologischen Eskapaden, die oft genug auf einer Uneinigkeit der Seele basieren sollen.
Am Ende wird endlich das wesentliche Momentum präsentiert: Als eine Person feststellt, wie fucking unsinnig es ist, eine Person wegen ihrer (politischen?) Hautfarbe zu hassen. Hassen zu müssen. Aus Hautfarbe Politik zu machen. Und das, meine Lieben, gilt nicht nur damals, sondern auch heute und bis in die Unendlichkeit.
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28 Euro. Manesse.