Violet Everly wächst sehr behütet bei ihren beiden Onkeln am leicht verlotterten Familiensitz auf. Moos erobert sich die Fensterrahmen, die Wand eines Ganges hängt voller Gemälde von Familienmitgliedern, deren Leben auf tragische, höchst übernatürliche Weise und viel zu früh zu Ende ging. Keiner der beiden Onkels wollte je hierher zurückkehren, doch ihre Schwester gebar eine Tochter (Violet) – und verschwand, als die Kleine 10 Jahre alt war. Doch ihr arg Aufwachsen hängt mit jener dunklen Vergangenheit zusammen und sie spürt, dass ihre eigene Zeit allmählich abläuft.
Ihre Onkel reisen zu fremden Orten und Violet wird in eine mysteriöse Gesellschaft eingeführt, die aus Scholaren besteht. Sie alle kannten ihre Mutter, doch nichts ergibt für sie einen Sinn! Da taucht Alexander auf, der aus ebenjener Welt stammt und ihr wenigstens ein paar der drängendsten Antworten geben kann. Doch warum kümmert er sich überhaupt um sie? Violet weiß nur eines sicher: Sie muss ihre Mutter finden. In einer ihr unbekannten Welt macht sie sich auf den Weg durch Raum und Dimension, um das Rätsel um den Fluch der Familie Everly zu brechen.
Der Leseeindruck
Wunderlich. So könnte man das gesamte Buch in einem Wort beschreiben. Die Geschichte, die Charaktere, die Schauplätze – alles ist etwas windschief, knarzt und passt so gar nicht modernes Denken. Wie kleine Preziosen stellt uns die Autorin die Familie Everly vor und gibt uns einen holprigen-stolprigen Weg in die Welt hinter der unseren vor. Folgen wir ihr, finden wir die Stadt Fidelis und ein Universum aus Sternenwesen mit Macht von Göttern, denen die Grausamkeit oft schneller von der Hand geht als Empathie. Ganz nebenbei werden ganze Städte und Gesellschaften dem Boden gleichgemacht – wobei man anmerken darf, dass in diesem Magiekonzept Blut eine sehr wichtige Rolle spielt (pot. Triggerwarnung).
In der dritten Person geschrieben, dauert es ein wenig, bis man mit den Charakteren warm wird – und auch dann ist es eher aus der eigenen Empathie und der Situation unserer Porta heraus, die uns etwas fühlen lässt. So knarzend und wunderlich die insgesamte Atmosphäre ist, so wenig sind die Emotionen greifbar. Ob das nun tell statt show ist, mag man diskutieren – klar ist, dass es zwar auch um leicht romantische Gefühle geht, aber nicht hauptsächlich. Der Fokus liegt auf dem Rätsel, dem Aufspüren von Informationshappen, der Reise in andere Dimensionen (so nenne ich das erst einmal Spoiler-frei).
Die Spannung wird dabei sehr subtil gehalten und ich verstehe, wenn die Handlung so manches Mal zu langsam vonstatten geht. Ein paar Fragen darf man sich durchaus auch stellen: Wir schafft ausgerechnet Violet es, dem Rätsel näher zu kommen, wenn ihre Onkel einen so großen Informationsvorsprung hatten und viele Jahre mehr der Suche? Dann wider inkludiert die Autorin eine Szene oder eher einen Denkansporn, um den viele Jugendbücher einen großen Sprung machen: Was passiert, wenn ein Machtvakuum entsteht, also der Kopf einer großen Organisation verschwindet? Illustriert an ihrem Beispiel ist das ein spannender Gedanke, der zum grübeln und verweilen einlädt.
Man merkt auch, dass über diese Geschichte in der Entstehung viel nachgedacht wurde. Das Weltenkonstrukt muss sehr umfassend sein, fast schon als Lore greifbar, denn wir bekommen nur einen Ausschnitt mit, der allerdings in alle Richtungen abgesichert sein muss. Hier wurde sehr viel geplant und auch Zeitlinien müssen stimmen, bevor wir in unserer Gegenwart mit Violet den Schlüssel zum Familienfluch suchen können.
Das Fazit
Wer kuriose, teils krumme Dinge mag und in Büchern keine Hektik sucht, bekommt eine wunderliche Geschichte erzählt, die gleichzeitig kraftvoll und streckenweise brutal ist. Macht Spaß!
Georgia Summers. Stadt der Sterne.
Heyne Verlag. 22 Euro.
Bettina Riedel (academicworld.net-Redaktion)