Irina und Thomas wachsen, für Zwillinge nicht unüblich, in einer engen Beziehung zueinander auf. Doch er trifft eine Entscheidung, die die Geschwister sowohl schleichend als auch gewaltsam voneinander trennt. Thomas als cineastischer Fan kommt auch beruflich zum Film und dreht mit Klaus Kinski in den Tiefen des Dschungels – und reist nach Abschluss der Dreharbeiten erst einmal nicht ab. Seine Eindrücke schildert er für seine kleine Schwester in Briefen, die zunehmend kryptischer werden, je weiter Thomas sich im Leben mit dem Dschungel verliert. Schließlich hören die Briefe auf und Irina beschließt zusammen mit ihrem Freund Hilmar, nach Iquitas und zu all den anderen Stationen ihres Bruders zu reisen, um ihren Zwillingsbruder wiederzufinden.
Womit sie nicht gerechnet hat, ist, dass es mehr als nur ihre Suche gibt, die nicht nur Irina, sondern auch Hilmar auf andere Pfade des Lebens führen.
Die Kritik
Es ist nicht das erste Buch von Florian Wacker, aber wohl das erste seiner Art für ein erwachsenes Publikum. In dieser Geschichte ist sein Schreibstil sehr eigenartig, oft verschachtelt und inhaltlich komplex. Das soll ihm nun überhaupt nicht zum Nachteil ausgelegt werden! Vielmehr hebt er sich dadurch ab von den allzu simpel verfassten Erzählungen. Es macht aus einer an sich relativ einfachen Handlung ein Buch, das man ganz bewusst lesen sollte, also nicht als lockere Sommerunterhaltung durch die Seiten fliegen.
Die enthaltene Geschichte ist sehr vielschichtig – Irina und Hilmar auf der einen Seite, die in der „Gegenwart“ nach Thomas suchen. Die Briefe von Thomas, von denen man erst später erfährt, ob Irina sie wirklich erhalten hat, auf der anderen Seite. Die Geschichte hinter der Besiedlung des wilden Urwalds unter Einbeziehung realer Personen, zu denen am Ende sogar noch Pablo Escobar gehört, umgarnt beide Seiten. Die komplexen, manchmal durchaus an Wahnsinn erinnernden Gedankenkaruselle stricken daraus eine stark verkopfte Geschichte, in der die Handlung übersichtlich bleibt, aber die Emotionen und teils wirren Ideen der Protagonisten starken Tobak für Außenseiter darstellen.
Emotional fühlt man sich, trotz des vielen Kontextes rund um die eigentliche Erzählung, schnell angekommen im Stromland. Das Konzept der Suche nach einer Person, der Suche nach dem Ort, an dem man sich Zuhause und angekommen fühlt oder auch der Suche nach sich selbst ist eines, das jeder semi-bewusst denkende Mensch intuitiv erkennt und mitlebt.
Dass der Autor sich ordentlich in die Tiefe des Urwalds und auch die Geschichte einrecherchiert hat, merkt man der Erzählung ganz deutlich an. Die missionarischen Jesuiten, Goldschürfer, Gegelegenheitsgauner, möchtegern Kolonialherren, die Seite der Ureinwohner – sie alle finden ihren Platz, doch finden sie am Ende auch Thomas?
Eine perfekte Sommerlektüre, denn wenn draußen die Sonne auf die Welt hinabbrennt, hat man das Kreischen der Äffchen direkt im Ohr und sieht halb eine Schlange vor sich herabbaumeln – wortreiche und kopfstarke Geschichte!
Bettina Riedel (academicworld.net)
Stromland. Florian Wacker.
Berlin Verlag. 20 Euro.