Sie wächst in einer liebevollen, aber armen Familie auf: Mirjem. An der Armut könnte ihr Vater etwas ändern, wenn er als Pfandleiher einfach nicht so gutherzig bis treudoof wäre. Eines Tages, als die Familie sich keine Medizin für die Mutter leisten kann, bricht Mirjem aus dem sozialen Konstrukt der patriarchalischen Gesellschaft dieser mittelalterlichen Welt aus und wird selbst zur Pfandleiherin. Jede:r, der oder die die Familie bisher am Hungertuch hat nagen lassen, muss nun mit Zins und Zinseszins zurückzahlen – ein Herz aus Eis ist es, was Mirjem scheinbar mit sich herumträgt.
Doch ihr Erfolg als Pfandleiherin wird auch von einem der Staryk, einem mythischen Volk aus einem Reich des Eises, bemerkt. Er testet ihre Gabe, aus seinem Silber Gold zu machen, was Mirjem mit klugen Tauschgeschäften schafft. Doch am Ende der Tests wird sie in sein Reich entführt und nicht erst mal gefragt, ob sie die Königin werden möchte. Jetzt steht Mirjem vor einem ganz anderen Handel, den sie sich so niemals hätte vorstellen wollen oder können. Doch es geht nicht nur um sie: Auch ihre Angestellte Wanda und eine unbekannte Herzogstochter kreuzen ihren Weg und zu dritt müssen sie für ihre Eigenbestimmung und ein selbst gewähltes happy End kämpfen!
Von Anfang an starke Frauen
Schnell ist klar, dass in dieser Geschichte keine zarten Mädchen wohnen, die erst zu Heldinnen werden müssen – sie sind von Anfang an stark und wissen, was sie wollen und wie sie es im Rahmen der aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten erreichen könnten. Dann aber schlägt gerade diese Gesellschaft zu und will sie kleinhalten: Eine Rechnung, die für die Allgemeinheit nicht aufgehen soll. Die drei Frauen bewegen ihr Einzelschicksal in völlig neue Richtungen und sind für sich jeweils „die Gute“, kommen sich aber auch gegenseitig in die Quere – ein extrem interessantes Setting, denn als Leser:in baut man sofort Sympathie zu allen drei Kämpferherzen auf. Wenn diese sich dann ins Gehege kommen, muss man sich emotional wohl für eine Seite entscheiden – „harte“ Bandagen, mit denen die Autorin den Leser:innen kommt 😉
Eine Stimme für vermeintliche Randgruppen und gegen Hetze
Auf eine sehr zarte und doch prägnante Art wird übrigens illustriert, wie die jüdische Gemeinschaft akzeptiert wurde oder eher nicht. An den Rand gezwungen und dafür dann genau dafür noch stärker ausgegrenzt wurden. Gerade im Alltag wird es deutlich und obschon es sich um eine Fantasygeschichte handelt, kann man sich sehr gut vorstellen, dass Menschen wirklich so gehandelt haben. Und leider wieder handeln würden, was das echte Problem ist. Die Art und Weise, wie dies in den Text einfließt, wird zum Ende hin stärker, bis die Protagonistin starke Aussagen tätigt, dass man erst mal schlucken und nachhören muss, wie der Satz im Inneren widerhallt. Das Ende passt zu dem zunehmenden Selbstbewusstsein und ist zwar der Schluss der gemeinsamen Geschichte der jungen Damen, könnte aber auch der Auftakt zu einer Fortsetzung werden.
Zwischendrin leicht langatmig
Wenngleich hier drei Schicksale erzählt und ausgeführt werden und man sich dessen bewusst ist, kommen doch bisweilen Längen auf. Ob das nun der Erzählstil oder die Handlung ist, sei dahingestellt und gehört vermutlich in die Ecke des subjektiven Empfindens, aber ein wenig mehr Tempo wäre hier und da vielleicht nicht ganz verkehrt gewesen. Der Einstieg dafür war wirklich schnell, denn kurz skizziert Mirjem aus der ich-Perspektive ihr Leben und stellt recht schnell klar, wie sie durchs Leben geht: Grundsätzlich geprägt durch die gesellschaftlichen Regeln, aber einengen lässt sie sich mit Sicherheit nicht.
Perspektivenwechsel als Challenge
Da alle Kapitel aus der ich-Perspektive verfasst sind, muss man immer erst ein paar Zeilen lesen, bevor man sich wirklich zuordnen kann. Da überrascht es auch, wenn sich am Ende einer der beteiligten Männer plötzlich zu Wort meldet, wobei das letztlich eine Bereicherung darstellt. Ansonsten würde man als Leser:in zu viele Vermutungen über seine Person anstellen, was für den weiteren Handlungsverlauf vermutlich zu unruhig wäre.
Das Fazit
Naomi Novik weiß, was sie macht. Die Längen sind das einzige Manko und daher gibt es eine absolute Leseempfehlung!
Das kalte Reich des Silbers. Naomi Novik.
cbj Verlag. 10 Euro.