Chloe Daniels hat massive Probleme: Nach einem schrecklichen Autounfall lag sie im Koma, hat so gut wie ihr komplettes Gedächtnis verloren und muss auch körperlich erst wieder fit werden. Ihre Eltern bringen sie zu sich nach Hause, doch ohne ihr Gedächtnis wirkt dort alles unfassbar fremd auf Chloe – sie erkennt nicht einmal ihre kleine Schwester wieder.
Immer wieder zweifelt sie an ihren Familienbanden und ständig geschieht etwas, das ihr Misstrauen eher verstärkt als zerstreut: Die Tore an der Ausfahrt des Elternhauses sind mit einem Code abgesichert, den sie nicht kennt. Bei einem Spaziergang versucht ein Mann, sie anzusprechen, doch muss vor ihrem Vater fliehen – der dann behauptet, diesen Mann hätte es nicht gegeben. Außerdem ist ihr Vater auch noch Psychiater, führt nebulöse Therapiegespräche unter Hypnose und dann wären da die vielen Pillen, die er ihr ohne Erklärung jeden Tag verabreicht …
Der Leseeindruck
Da sich alles rund um Chloe dreht und aus der ich-Perspektive verfasst wurde, verbringen die Leser dieses Buchs zu 100 Prozent ihre Zeit mit der Protagonistin. Das macht das Lesen für einen Teil sicherlich nicht ganz einfach, denn wer Chloe nicht mag oder, wird wenig Spaß am Buch haben. Aus meiner Sicht ist sie viel zu weich, reflektiert nicht, denkt zu sehr in Tunneln, hat kein Selbstbewusstsein und stellt sich selbst zu sehr ins Opferlicht. Praxisbeispiel Tabletten – die werden ihr immer wieder verabreicht, sie weiß nicht, was es ist. Sie kommt aber auf knapp 200 Seiten nicht auf die Idee, das Runterschlucken mal sein zu lassen.
Für mich persönlich war es daher bisweilen ärgerlich, denn ich konnte die Opfer-Rolle von Chloe nicht nachvollziehen. Als dann noch die Lügen der Familie eine nach der anderen aufgedeckt werden, würde ich persönlich so krass anders reagieren, dass ich für die Wehleidigkeit der Protagonistin absolut kein Verständnis mehr hatte. In der zweiten Hälfte hat es sich gebessert, da Chloe etwas mehr Eigeninitiative an den Tag legte und sich nicht mehr wie ein kleines Kind hat behandeln lassen. Insofern siegte allmählich auch die Neugier auf die Auflösung über den Ärger und wurde in der Theorie nicht enttäuscht. Soll heißen: Es gab einen interessanten Plotttwist, der nicht gigantisch, aber interessant war.
… und dann kommen die letzten zwei, drei Seiten, auf denen die Autorin das gesamte Buch ins Nichts zerkrümelt. Es ist wirklich ein Unding, wie das Buch beendet wird. Es ist eindeutig zu empfehlen, diese Seiten einfach zu ignorieren und das „alternative“ Ende als gesetzt zu akzeptieren. Zwecks Spoiler lässt sich nicht viel verraten, aber welche Mutter würde denn so reagieren? Und wie verblendet ist Chloe denn bitte? Hier liegt ein Frauenbild zugrunde, das wirklich grauslig ist. Wer das Ende kennt und sich austauschen möchte, darf mir gerne schreiben: Bettina.Riedel@academicworld.net.
Bettina Riedel (academicworld.net)
Michelle Adams. Lügengift.
Goldmann. 10 Euro.