Wien im Jahre 1921 ist ein ziemliches Drecksloch. Zumindest in der Wahrnehmung von Kriminalinspektor August Emmerich, der nach Band 3 alleinerziehender Vater 3er Kinder ist – und im Büro immer noch mit den maximal uncharmanten Kollegen rund um Brühl in Konkurrenzkampf steht. Doch Emmerich macht sich darum fast keinen Kopf, regt sich nur über alles auf und bleibt ansonsten, wie er ist – und natürlich muss er auf einem schicken Empfang just den neuen Bundeskanzler Schober beleidigen, während dieser direkt hinter ihm steht. Man gönnt sich ja doch nichts.
Zum Glück brockt ihm das nicht mehr als ein Benimm-Seminar ein, für das er aber immerhin 10 Tage einkaserniert wird – und bei dem irgendwas wirklich super seltsam ist: Denn ein Mann dort gibt sich als Ermittler zu erkennen, der einen Mörder in den Reihen der Teilnehmer sucht. Nebenbei steht der Kollege Winter ohne Emmerich vor der Herausforderungen, einen Fall das erste Mal allein zu lösen. Zwei Frauen in der Brigittenau wurden erschlagen und die Spuren führen ins Wiener Rotlichtviertel mit den ganz besonderen Vorlieben – genau die Umgebung, in der man den jungen Winter eigentlich nicht allein wissen will.
Der Leseeindruck
Ein Buch, ein Tag. So schnell vertieft man sich in das echt ruppige und doch auf seine Weise besonders charmante Wien, in dem das Leben mal prunkvoll und mal ganz besonders elend vonstatten geht. Wie in den drei Vorgänger-Büchern legt die Autorin wieder Wert darauf, nicht das kaiserliche Wien rund um Sissi aufleben zu lassen. Stattdessen widmet sie sich einem emotional sehr komplizierten Zeitabschnitt: Nach dem Fall der Monarchie, dem Ersten Weltkrieg, also eine elende Nachkriegszeit mit immer stärkerem Zug Richtung Nationalextremismus. Das ist nicht das leichteste und gerade deswegen so spannende Setting, in der ein kriegsverletzter Ermittler gegen den Strom schwimmt und einfach klar ist, dass er damit wahnsinnige persönliche Schwierigkeiten bekommen wird.
Da man sehr schnell Sympathie für den ruppigen Typ mit Herz aus Gold aufbaut, bedrückt das Szenario die Leserschaft durchaus und man leidet mit August mit, der als Kämpfernatur mittlerweile einfach auch mal seine Ruhe vom Leben haben möchte. Dennoch schafft die Autorin es, eine ganz besonder Art von Charme und Leichtigkeit in das Buch und seine Charaktere einfließen zu lassen, sodass trotz der Morde ein echtes Lesevergnügen entsteht. Außerdem kommt ein Fall dazu, der wieder eigenständig erscheint und doch auf allen Ebenen mit August Emmerichs persönlichem und beruflichem Schicksal zusammenhängt. Die Koordination der Handlung auf so vielen Ebenen ist eine weitere super gelungene Herausforderung für die Autorin.
Die historische Akkuratesse ist einigermaßen gegeben, im Nachwort weißt die Autorin auf gelegentliche Interpretationen hin. Das Buch ist damit eine faszinierende Mischung aus einem Fenster in die Vergangenheit, über das sich mit sicherem Abstand etwas über die damalige Realität lernen lässt und spannender Fiktion der jeweiligen Morde. Man lernt quasi etwas und unterhalten wird man auch noch – und das so gut, dass am Ende des Tages leider kein Buch mehr übrig ist. Zeitgleich wird man als Leser wirklich neugierig darauf gemacht, wie August Emmerich wohl die auf ihn zukommenden Wirren navigieren kann – denn wie es weitergeht, ist historisch ja einigermaßen geklärt. Ganz großes Kopfkino!
Alex Beer. Das schwarze Band. Buch 4.
Limes Verlag. 20 Euro.