Obacht: Hier geht es um Band 3 der Cyrus Haven-Reihe. Man kann die Bücher aber unabhängig von einander lesen.
Cyrus Haven ist forensischer Psychologe und unterstützt mit seiner Expertise die Polizei von Nottingham. Nun soll sein Bruder Elias nach 20 Jahren aus der forensischen Klinik entlassen werden. Elias hat damals in seiner Jugend die gesamte Familie in einem schizophrenen Wahn getötet. Besser gesagt fast alle, denn nur Cyrus überlebte das Massaker. Elias soll nun geheilt sein und entlassen werden. Als nächster Angehöriger soll Cyrus nun seinen Bruder aufnehmen. Doch kann er ihm nach all der Zeit verzeihen?
Sein Bruder ist aber nicht Cyrus einziges Problem. Er wird zu einem neuen Fall hinzugezogen. Die Leiche einer geschundenen jungen Frau wird gefunden. Kurz darauf wird eine weitere vermisst. Sein Mündel, die junge Evie, macht ihm die Arbeit aber nicht leichter. Sie hat das Talent, sich von einer unangenehmen Situation in die nächste zu stürzen. Aber sie hat auch etwas Förderliches: sie kann Menschen „lesen“ und enttarnen, ob sie lügen oder nicht. Eine hilfreiche Gabe, die bei den derzeitigen Ermittlungen auch zum Verhängnis werden kann.
Der Leseeindruck
„Der Erstgeborene“ ist mein erster Teil der Cyrus Haven-Reihe. Trotzdem hatte ich kein Problem, in das Buch einzusteigen. Man bekommt die wichtigsten Informationen an die Hand gereicht und kann sich gut auf die Story einlassen.
Neben dem allgemeinen Plot rund um die Ermittlungen erfahren wir Leser:innen viel über das Privatleben der Hauptfiguren. Dadurch entstehen zwei Handlungsstränge, die beide auf ihre Art packend waren. Leider war es dennoch stellenweise etwas langatmig, da doch sehr viel Privatleben thematisiert wird. Auch das Ende war nicht die größte Überraschung, doch der Thriller hält an vielen anderen Stellen einiges an Spannung und Wendungen bereit, dass es über die unschockierende Auflösung hinwegtröstet. Der Showdown jedoch lässt einem wieder den Atmen stocken 😉.
Außergewöhnliche Figuren
Evie ist eine Person, die man schnell ins Herz schließen kann. Auf der einen Seite ist sie ein typsicherer Teenager, der gerne rebelliert, sich nichts sagen lässt und alle Entscheidungen von Erwachsenen in Frage stellt. Auf der anderen Seite hat sie einen sehr sensiblen Kern. Evie gibt den Leser:innen einen Einblick in ihre tragische Kindheit und Jugend. Ihre manchmal etwas gewöhnungsbedürftigen Handlungen werden so nachvollziehbar. Evie ist eine Figur, die man laufen lassen möchte, um zu sehen, wie sie selber lernt auf den Beinen zu stehen, aber gleichzeitig will man die schützende Hand über sie legen, damit nichts Böses mehr an sie herandringt. Sie ist durch und durch sympathisch.
Auch der Charakter Elias ist wirklich komplex und gelungen. Eingeführt wird er durch einen Gerichtstermin, bei dem wir Leser:innen Cyrus begleiten dürfen. Hier und auch in den späteren Szenen wirkt die Persönlichkeit von Elias sehr zwiegespalten. Zum einen glaubt man ihm, dass er geheilt ist, seine Tat bereut und nun wirklich ein „normales“ Leben führen möchte. Doch man spürt, dass er nicht nur einen Heiligenschein auf dem Kopf trägt. Auch böse Züge verstecken sich in dem psychischen Kranken. Immer, wenn Elias auftaucht bekommt man ein mulmiges Gefühl im Bauch.
Cyrus zeigt allerhand Emotionen. Sei es seine Beziehung zu Evie oder aber die Gewissensbisse, die er seines Bruders wegen hat. Verzeihen ist nicht immer einfach. Man spürt, wie er hin- und hergerissen ist und will eigentlich nichts anderes tun, als ihm zu helfen. Auch die Ermittlungen in seinem aktuellen Fall zerren an seinen Nerven und bringen ihn schlaflose Nächte. Vor allem den Teil mit dem Verzeihen finde ich sehr interessant: Er ist ein Psychologe und wie er auch selber sagt, sind Psychologen eigentlich davon überzeugt, dass Opfer lernen den Tätern zu verzeihen, um selber seelischen Frieden zu finden. Er selber steckt in der gleichen Situation wie einige seiner Patientinnen und Patienten, die ihren Peinigern oder den Tätern von Familienangehörigen/Bekannten nicht einfach die Hand geben können. An dieser Stelle steht seine berufliche Haltung gegen seine private.
Fazit
„Der Erstgeborene“ ist wirklich spannend und fesselnd inszeniert. Der Plot ist genial und sehr gut umgesetzt. Vor allem die Mischung aus privaten Herausforderungen und der fordernden Ermittlung geben der Story die richtige Tiefe und Emotionen. Insgesamt ein starker Psychothriller mit interessanten und komplexen Charakteren, die aber trotzdem sehr nahbar sind.
Lisa Albrecht (academicworld.net)
Michael Robotham. Der Erstgeborene.
Goldmann. 17,00 Euro.