Vier Jungs, ein heißer Sommer in den Weinbergen. Sie träumen von der Zukunft, sie schwitzen unter der gesellschaftlichen Ordnung, sie erleben einen Sommer, wie nur die Jugend ihn wahrnehmen kann. Sie sehen nur sich, wie die Jugend eben ist. Doch um sie herum sind andere Menschen aktiv, alle haben einen Bezug zu den Jungs und alle erleben seltsame, eigentümliche Momente, die uns auf dem Silbertablett präsentiert werden. Manche vielleicht etwas weniger real als andere, nichtsdestoweniger Unikate.
Der Leseeindruck
Es ist Literatur, die wunderbar frech wirkt, denn sie ist nicht hochtrabend verfasst und bemüht sich nicht ansatzweise um Arroganz. Der neue Stanisic nimmt uns mit in seine Jugend – und wie das mit Erinnerungen so ist, haben sie ihre eigene Dynamik entwickelt. Manches war real, manches ist aus den glitzernden Wolken der lang vergangenen Zeit entstanden. Vieles erscheint später in einem anderen Licht, aber ist es verklärend? Oder so zurechtgebogen, damit man heute damit etwas anfangen kann? Oder will man am Ende des Lebens einfach nur wissen, dass man kein schlechter Mensch war?
Man lernt hier Charaktere kennen, die den Blick auf andere, ihre eigenen, Mikrokosmen lenken. Das mag ich sehr. In seinem eigenen Kopf kennt man sich nämlich sehr gut aus. Andere Menschen offerieren andere Perspektiven: Weil sie anders aufgewachsen sind, andere Dinge gesehen und erlebt haben und schlicht anderen Generationen angehören. Sie setzen andere Prioritäten und man erfährt, warum sie diese in dieser Form verfolgen. Man kann hier in andere, sehr realistische Lebenssituationen eintauchen. Realistisch auch deswegen, weil der Autor sich selbst einbaut. Diese Augenblicke wirken wertvoll, man würde so etwas nie in einer Unterhaltung erfahren, manchmal nicht mal bei engen Freunden. Gedankenwelten, unredigiert. (Pun intended, welches Buch erscheint schon unredigiert bei Luchterhand.)
Das alles kommt prima verpackt in Kapiteln daher, die sich jeweils auf eine Person konzentrieren. Jede:r bekommt einen eigenen Scheinwerfer, eigene Zeit im Rampenlicht und damit ergibt sich am Ende ein wundervoller Makrokosmos aus mehreren Stimmen, die man ein wenig vermissen wird. Vielleicht kompensieren wir das einfach mit dem Drang, nach Helgoland in den Urlaub zu fahren. Vielleicht möchte man dem Autor eine Postkarte schicken.
Funfact: Wir erfahren, wo „vorne“ ist bei einem Grab. Niemand stirbt dumm.
Saša Stanišić. Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne.
Luchterhand. 24 Euro.