Alexandra Boyd ist gerade frisch in Sofia, Bulgarien, gelandet – am American Institute wird sie in einigen Wochen eine Stelle als Lehrerin antreten. Zuvor will sie durch das Land reisen, ein Ziel, das sie auf eher unvorhergesehene Art erreichen wird: Vor einem Hotel hilft sie einer Familie, alle Taschen im Taxi zu verstauen. Erst hinterher bemerkt sie, dass sich in dem Durcheinander noch eine Tasche der Fremden in ihrer Hand befindet. Als sie nachkuckt, entdeckt sie die Asche eines Verstorbenen: Stoyan Lazarov.
Sofort versucht sie die Familie wieder ausfindig zu machen, doch die Suche gestaltet sich als äußerst schwer. Nicht nur spricht sie kein bulgarisch, außerdem merkt sie schnell, dass sie sich in einem vollkommen andersartigen Kulturkreis befindet. Dank der Hilfe eines freundlichen Taxifahrers namens Bobby macht sie sich dennoch an die schier unlösbare Aufgabe – und schafft es sogar, in einen politischen Skandal verwickelt zu werden, der seine Wurzeln in einem alten Übel hat – und direkt mit Stoyan Lazarov zusammenhängt.
Die Kritik
Mit etwas über 700 Seiten ist das Buch keine Geschichte, die man mal so eben wegliest. Der Umfang bedingt sich durch die faszinierende VIelschichtigkeit der erzählten Geschichte: Alexandra verarbeitet den frühen Tod ihres Bruders, ist auf einer Reise durch ein völlig fremdes Land, lernt dabei Bobby und das Land kennen, gerät auf eine geheimnisvolle politische „Persona Non Grata-Liste“. Einen dieser Aspekte hätte man gut und gerne streichen können, beziehungsweise nicht zu sehr in den Vordergrund rücken müssen – die Geschichte rund um den Bruder hat keinen spürbaren Zusammenhang mit den Ereignissen in Bulgarien und ist daher seicht und überflüssig.
Dennoch bleibt: Diese Ebenen müssen erst einmal laufend miteinander verbunden werden, was die Autorin sehr exzellent schafft. Dazu wechselt sie nicht nur nach jedem Kapitel die Erzählperspektive, sondern hält die Kapitel noch dazu sehr übersichtlich. Das hat den netten kleinen Nebeneffekt, dass man das Buch immer wieder gut aus der Hand legen kann und nicht ewig in einem Kapitel hängt. Nicht zuletzt sorgt dieser Kniff dafür, dass Längen vermieden werden – und eine weitere Reichhaltigkeit entstehen kann. Denn die Charaktere sind sehr unterschiedlich, bringen jeweils eine ganz eigene Sicht auf die Dinge, da sie durch andere Erfahrungen aus verschiedenen Zeiten geprägt wurden.
Eine wahnsinnig intelligent erzählte Geschichte, die auch mit Ehrlichkeit aufwarten kann. Beim politischen Aspekt hätte man durchaus noch etwas tiefer gehen können, wobei die Autorin damit durchaus ein Minenfeld betreten hätte. In dieser Form hat sie die quasi bequeme Position gewählt, in der sie sich mit der Kritik nicht allzuweit aus dem Fenster lehnt. Stellt sich selbstredend die Frage, inwiefern eine politische Stellungsnahme überhaupt das Ziel der Autorin war.
Herausgekommen ist ein interessanter, vielschichtiger Roman, der ein spannendes Land fokussiert und mit starken Charakteren zu punkten weiß, ohne zu dick aufzutragen.
Bettina Riedel (academicworld.net)
Elizabeth Kostova. Das dunkle Land.
Wunderraum. 24,00 Euro.