Seit Twilight dominieren vampireske Klischees die Bücher der All Age Fantasy. Dass man althergebrachte Erfolgsrezepte komplett über den Haufen werfen und trotzdem, vielleicht gerade auch deswegen eine vollkommen neue Welt erschaffen kann, zeigt Cassandra Clare mit den „Chroniken der Schattenjäger“.
Wie alles begann: Man nehme zwei Teenager, in der Regel zwischen 16 und 18 Jahren alt, füge vorzugsweise etwas vampireske Fantasy hinzu und habe einen Kassenschlager. So sieht sich das Segment der Young Adult Bücher / no age Fantasy seit Twilight einer Flut von Kopien ausgesetzt, die viel Raum und Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Dabei leider auch inhaltlich sehr gleich sind und dem Leser kaum Abwechslung bieten.
Zeit für etwas Neues
Dass es auch anders geht, zeigte Cassandra Clare schon mit ihrer Pentalogie „City of…“. Darin kämpfen Halbengel gegen Dämonen und wahlweise auch Schattenwesen – wie gut, dass Clary davon so gar nichts weiß, obwohl sie selbst eine Jägerin ist. Als die Vergangenheit ihre Mutter einholt, wird sie in eine Welt hineingezogen, von deren Existenz sie bis dato rein gar nichts wusste. Zum Glück gibt es da den widerspenstigen Schattenjäger Jace, an dem sie sich in brenzligen Situationen festhalten kann. Obwohl er sie so manches Mal eher von sich wegzuschieben scheint… So die ursprüngliche Erfolgserzählung.
Nun erschien der dritte Band einer weiteren Schattenjäger-Reihe: „Clockwork Princess“ als Sequel zu „Clockwork Angel“ und „Clockwork Prince“. Doch wer glaubt, dass CC den alten Erfolg von City of Bones einfach mit neuen Personen wiederholen möchte, täuscht sich. Die Serie zwar gehört in die gleiche Erzählungswelt der Schattenjäger, unterscheidet sich aber meilenweit von der „City of…“ Reihe. Es mag zwar nichts Neues sein, dass die Heldin Theresa Gray zwischen den zwei Verehrern Jem und Will steht. Wohl aber, dass sie den untypischeren ‚Held‘ aufrichtig liebt und sich mit ihm verlobt. Erst recht, dass die abweisende und damit an Jace erinnernde Haltung von Will an einem eingebildeten Fluch liegt und dieser tendenziell ein kuschliger Typ ist – das ist neu.
Darum geht‘s
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts kommt Tessa nach dem Tod ihrer Tante aus New York in London an, um dort bei ihrem Bruder zu leben. Schließlich ist sie minderjährig und noch viel wichtiger: eine Dame. Was für Theresa schicklich ist und was nicht, legen die gesellschaftlichen Regeln fest. Doch kaum hat sie das Schiff aus NYC verlassen, wird sie am Hafen entführt und von mysteriösen Damen in einer Fertigkeit geschult, deren Besitz ihr nicht einmal bewusst war. Gestaltwandlerin müsste man sein, wäre da nicht das Manko, dass diese Eigenschaft Tessa zu einem Schattenwesen macht. Heißt: unsere Heldin steht auf der potenziell ‚uncoolen‘ Seite aller Beteiligten. Schließlich haben die Nephilim, also die Schattenjäger, sie genauso wie Dämonen seit Urzeiten gejagt. Tessa weiß nicht wie ihr geschieht, als sie vom Schattenjäger Will plötzlich aus ihrer Gefangenschaft gerettet wird. Doch damit enden ihre Fragen noch lange nicht: Wo ist ihr Bruder, wie geht es ihm, welcher Bösewicht steckt hinter der Misere und warum im Namen des Erzengels will dieser Tessa auch noch heiraten? Als dann noch eine Armee von Klockwerk-Wesen die Straßen von London unsicher macht, ist die anspruchsvolle Szenerie komplett.
Einfache, aber kraftvolle Worte
Komplexe Geschichte also und noch dazu gut verfasst! Cassandra Clare beschreibt eine Sache, wie sie ist, ohne dabei wie ein neutraler Berichterstatter zu klingen. Der Leser wird in eine andere Welt eingesogen, obwohl die Autorin vom Schreibstil her das absolute Gegenteil von einem Richard Voß ist. Gerade aufgrund der einfachen Struktur sind ihre Worte umso kraftvoller, wirkt die Welt umso attraktiver. Man merkt gar nicht, wie viele Seiten man da gerade begierig in sich aufsaugt.
Liebesgeschichte? Nein, Weltherrschaft!
Im Gegensatz zu Twilight ist die Handlung wesentlich vielfältiger gestrickt. Bei CC gibt es mehr als nur ein verliebtes Mädchen, mehr als einen Vampir mit verjährten Adoleszenz-Schwierigkeiten und mehr als nur eine Person, die beiden Übel will. Und wieso überhaupt nur den beiden? Die Autorin nimmt die restliche Welt in Angriff und eröffnet damit sich und den Lesern ein Spielfeld der besonderen Art. Doch das ist nicht alles: Es gibt nicht nur ein zentrales Pärchen und drei einigermaßen relevante Personen rundherum. Jeder der zahlreichen Charakter hat bei CC eine hohe Wertigkeit, sprich: Jede Person ist wichtig, wird umfangreich als Persönlichkeit dargestellt und taucht immer wieder auf. Einfache Randfiguren gibt es kaum.
CC erzählt also nicht einfach eine Geschichte zweier Liebenden, sie kreiert gleich eine ganze Welt. In dieser können sie und ihre Figuren sich viel freier bewegen, als die auf einen bestimmten Handlungsstrang fixierten glitzernden Vampire. Anstatt sich über 3 von 4 Bänden dem gleichen Thema zu widmen (Oh mein Gott, jemand möchte Bella töten! Mal wieder.), verfolgt man bei CC’s Clockwork Trilogie So kommt es auch, dass die „City of…“ Erzählung mit der „Clockwork“-Reihe einen ausführlichen Vorspann erhält – in dem sogar eine Person durch ihre zeitlose Existenz beide Zeitalter miteinander verknüpft. Man trifft quasi einen alten Bekannten wieder und erfährt mehr über ihn.
Alter ist einfach nicht alles…
Offen gestanden: Ich bin selbst Mitte 20. Twilight zu lesen war einigermaßen creepy, zu fokussiert die Geschichte auf das Alter der beiden Hauptdarsteller. Logisch, wenn die Dame bei dem Gedanken, „älter“ zu sein als das Herzblatt auch noch panische Angstzustände bekommt. Weder bei der „City of…“- noch der „Clockwork“-Reihe spielt das Alter eine zentrale Rolle. Man kommt sich also keineswegs ausgegrenzt vor oder fühlt sich irritiert, weil man einfach ein Stückchen älter ist als die Helden.
… und ein klassisches Ende erst recht nicht.
Im Gegensatz zu möglichst gefällig gestrickten Allerweltshandlungen gönnt CC ihren Lesern kein klassisch romantisches Finale. Sie nimmt uns mit auf eine emotionale Reise, deren Achterbahnfahrt jeden zutiefst anspricht. Man lacht mit und über die Figuren, schüttelt den Kopf, unterdrückt auch mal ein Tränchen oder hält vor Entsetzen den Atem an. Cassandra Clare beschreibt keine langwierigen epischen Schlachten, die einen Konflikt und den Bösewicht „ruhmvoll“ beenden. Vielmehr kommt sein Ende glorreich und vergleichsweise (siehe bspw. Tom Clancy) schnell: Was als Geschichte um Liebe und Intrigen einer fantastischen Welt begann, endet mit den ewigen existenziellen Fragen und Wahrheiten des Lebens, zu Gott und der Welt, die auch den Leser noch eine ganze Weile nicht loslassen.
Geeignet für alle, denen die Realität manchmal einfach nicht genug ist.
Bettina Riedel (academicworld.net)
Cassandra Clare. Clockwork Angel. Clockwork Prince. Clockwork Princess.
ARENA Verlag. 18,99 Euro. 19,99 Euro. 19,99 Euro. (gebundene Ausgaben). Die Cover haben sich seither massiv verändert, aber die Reihe ist weiterhin käuflich verfügbar – kauft nicht zu überhöhten Preisen bei eBay.
PS Die „City of…” Reihe ist mittlerweile abgeschlossen mit sechs Büchern.