Die Familie Karpenko lebt im Leningrad der 70er Jahre – der Kommunismus und der KGB durchdringen ihr Leben und sorgen letztlich dafür, dass Mutter (Elena) und Sohn (Alexander/ Alex/Sascha) per Schiff aus Russland fliehen müssen. Am Hafen werden sie vor eine Wahl gestellt, denn es gibt zwei Frachter, die an diesem Tag auslaufen – einer schippert gen USA, der andere nach England. Ein Moment in ihrer beider Leben, der den Fortlauf ihrer Geschichte massiv beeinflussen wird: Zwar müssen sie sich in beiden Ländern erst einmal mit den üblichen Immigrationsbedingungen durchschlagen, doch das Leben in den Staaten hält beispielsweise den aufziehenden Vietnamkrieg bereit. In England dagegen könnte eine Karriere als Politiker in Saschas Sternen stehen …
Die Kritik
Was beim Klappentext nicht ganz so deutlich hervorkommt: Die Geschichte entfaltet sich zeitgleich auf 2 Kontinenten. Die Beschreibung ließ zunächst vermuten, dass Alexander und seine Mutter nicht nur in Europa, sondern im Laufe der Zeit auch auf einem anderen Kontinent leben werden. Der Autor jedoch splittet die Geschichte von Anfang an: Er beschreibt einmal, was geschehen wäre, wenn sie in die Transportbox nach England geklettert wären und das, was passiert wäre, wären sie in den Staaten gelandet. Dabei nutzt der Autor den Umstand, dass der Name Alexander im russischen zu Sascha verkürzt wird, stellt also die England- und USA-Kapitel unter die Namen Alex beziehungsweise Sascha. Darauf muss man erst mal kommen als Leser, was am Anfang für ein klitzekleines Bisschen Verwirrung sorgen könnte. Die Idee an sich ist allerdings sehr spannend, denn jedes der beiden Länder durchläuft in den 60er und 70er Jahren einen sehr spannenden historischen Abschnitt.
Die beiden Hauptcharaktere (Elena und Alexander) machen jeweils enorme Strapazen durch, werden vom Leben durchgeschaukelt wie auf maximalem Wellengang (gibt der Handlung durchaus Spannung) – dennoch gibt es kaum emotionale Reaktionen. Beide scheinen von einer unfassbar starken Logik geprägt zu sein, die kaum Raum für nicht rationales Verhalten lässt. Kann man mögen, muss man aber nicht. Ich für meinen Part hätte etwas Emotionalität gebraucht, um aus dem Roman eine vielschichtigeren Erzählung zu machen, die ansonsten eher wie ein Bericht wirkt. Etwas Mehrdimensionalität hätte dem Buch gut getan.
Zudem sind die die beiden Protagonisten so dermaßen charakterlich einwandfrei und im Falle Alexanders super intelligent, dass die erste Hälfte des Buchs sehr ruhig dahinfließt. Zwecks Intelligenz kommt Alexander in guten Schulen unter, die Visen sind kein Problem, Elena arbeitet aufopferungsvoll in verschiedenen Küchen und ermöglicht ihrem Sohn alles. Der KGB als die große Bedrohung rückt schnell in den Hintergrund, was etwas schade ist – denn der Autor hat einen politischen Hintergrund und könnte daher vielleicht etwas mehr aus dem Setting herausholen.
Dennoch schafft der Autor es, dass man unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Durch die kurzen Kapitel und ständigen Wechsel der Kontinente ist es ein Leichtes, dem jeweiligen Erzählstrang zu folgen und sich an gerade Gelesenes zu erinnern. Außerdem verflichtet der Autor Nebengeschichten mit einer ganz besonderen Eleganz in die Haupterzählung, was letztlich etwas Abwechslung bietet.
Und das Ende? Ist einerseits recht fix und endgültig, andererseits auch realistisch, in sich logisch und auch etwas hart. Insgesamt aber sehr stimmig und passend zur vorher erzählten Geschichte.
Fazit: Jeffrey Archer ist ein Erzähler mit Ecken und Kanten, der dem Leser liegen muss. Insofern lohnt vorab der Blick in die Leseprobe. Wem er aber liegt, den wird er sehr gut unterhalten.
Bettina Riedel (academicworld.net)
Jeffrey Archer. Traum des Lebens.
Heyne Verlag. 24,00 Euro.