Nancy ist gerade aus dem Reich der Toten zurückgekehrt und ihre Eltern behandeln sie, als wäre sie ein Entführungsopfer mit psychischen Problemen. Sie wissen einfach nicht, wie sie sonst mit ihr umgehen sollen, doch auch so wird es ihnen zu viel: Nancy geht ab sofort auf ein Internat. Was niemand vorher weiß – in Eleanors Haus wimmelt es nur so von Kindern, die durch unwahrscheinlich vielseitige Türen in andere Welten gelangt sind und nun mit ihrer Rückkehr zu kämpfen haben. Zu ihrem Entsetzen trifft sie auf so viele andere Jugendliche, dass es ihr fast zu viel wird. eine Empfindung, für die sie sich bald etwas schämt – denn irgendjemand bringt die Kinder bald der Reihe nach um… Gemeinsam mit den berühmten Jack und Jill, deren ganz eigene Geschichte später noch erzählt wird, und anderen Jugendlichen kümmern sie sich zwangsläufig um die brutalen Vorgänge.
Die Kritik
Insgesamt sind es drei Geschichten rund um das Haus für besondere, genauer gesagt zurückgekehrte Kinder, die den Leser in eine ganz andersartige Betrachtung unserer Welt bringen. In erster Instanz geht es dabei um einer Art Schock, quasi das PTSD-Syndrom derjenigen Kinder, die aus einer andersartigen Welt in die „Realität“ zurückkehren. Das allein ist schon mal ein anspruchsvolles Thema, mit dem man als Autor eine Gratwanderung betreiben muss – und McGuire stürzt definitiv nicht ab.
Thematisch doch sehr heikel, aber sehr gut gelöst mit Charakteren, die halb kindlich und halb erwachsen / erfahren sind. Das macht das Buch für alle Zielgruppen sehr interessant! Teilweise sorgt der Inhalt und der Schreibstil auch mal für spontane Reaktionen wie losprusten oder irritiertes Kopfschütteln, weil die Charaktere etwas von sich geben, womit man niemals gerechnet hätte. Aber es stimmt schon: Wer so etwas Seltsames wie eine andere Welt erlebt hat, entspricht nicht mehr den Ansprüchen der „regulären Realität“.
Dabei haben die Kinder teilweise starke Einsichten, beziehungsweise leiht die Autorin ihnen eine starke Stimme für die Situationen, in denen sie mit der Welt und manchmal auch sich selbst hadern. Das beginnt thematisch bei „von den Eltern in eine Schublade gesteckt und damit seit der Kindheit massiv beeinflusst werden“, weil sie sonst einfach nicht wissen, was sie mit ihren Kindern anfangen sollen. Es geht weiter mit dem Ignorieren ihrer Veränderung, weil sie wiederrum nicht ansatzweise versuchen, sich in die Kinder hineinzuversetzen. Aber auch untereinander neigen manche Charaktere zu vorschnellen Urteilen, beispielsweise, wenn es um die Zuordnung von Geschlechtern geht und einer Transsexuellen ihre Rechte abgesprochen werden sollen. Wie gesagt: Viele starke Themen, was die eigentlichen Geschichten für alle potenziellen Leser zu sehr interessanten und fast schon intensiven Erzählungen werden lässt.
Insofern gibt es unvorhergesehene Wendungen, spannende Hintergründe und das gemischt mit einem unterhaltsamen, fast schon jovial-schwermütigen Schreibstil. McGuire hat sich eine Nische gesucht, aus der man mit Sicherheit noch sehr viel mehr herausholen kann, denn was wäre mit Kindern, die nicht auf eine der Schulen weltweit geschickt werden? Hier lassen sich noch viele faszinierende Einzelschicksale herausarbeiten.
Bettina Riedel (academicworld.net)
Seanan McGuire. Der Atem einer anderen Welt.
Fischer Verlage / TOR. 19,99 Euro.