Emily Fox-Seton stammt aus einem guten Haus, ist aber verarmt und muss nicht nur für jeden Penny hart arbeiten, sondern ihn vor der Ausgabe auch mehrmals umdrehen. Doch sie hadert nicht mit ihrem Schicksal, so ausgeglichen, moralisch aufrecht und gütig ist unsere Heroine. Eine ihrer Auftraggeberinnen ist Lady Maria Bayne, die sie zu einem Sommerfest einlädt.
Voll neidloser Hingabe beobachtet Emily das Balzverhalten junger Frauen, die den Witwer Lord Walderhurst für sich gewinnen möchten. Da geschieht das quasi Unmögliche: Er hält um Emilys Hand und. Fortan gehören materielle Probleme der Vergangenheit an, aber das trübt das edle Gemüt unserer Heldin wohl kaum. Indes das der nahen Verwandtschaft, die gehofft hatte. Walderhurst zu beerben und das in nicht allzu ferner Zeit …
Der Leseeindruck
Am Anfang steht Akzeptanz. Emily ist so dermaßen perfekt und unschuldig, dass es aus moderner Sicht manchmal leicht gruselig wirkt. Das Buch wurde zuerst 1901 veröffentlicht und in diesem Kontext muss man nicht nur diesem Umstand sehen. Man muss also wirklich und unumstößlich akzeptieren, dass Emily Fox-Seton eine fleischgewordene Heilige ist und es in diesem Buch, sofern Gefühle erwähnt werden, ein seltsames Brimborium darum gemacht werden. Zunächst wirkt alles sehr distanziert, denn Walderhurst heiratet der Qualität, nicht der Liebe wegen. Eine gewisse Distanz bleibt aus unserer Sicht durchgängig erhalten, denn hier gibt es extrem viel „tell“ und wenig „show“ – nicht zwangsläufig negativ, aber potenziell ungewohnt.
„Das Herz einer Lady“ ist ein Buch, dessen Nachwort zu lesen absolut empfehlenswert ist. Gretchen Gerzina schreibt dort schon 2001, was wir uns bei der Lektüre immer noch denken und erhellt durch ihre Recherche wichtige Umstände aus dem Leben der Autorin. Kennt man diese, sieht man das Buch in durchaus anderem Licht.
Durch die vielen Beschreibungen ist das Buch auf jeden Fall atmosphärisch. Wer bildlich mitliest, hat ein sehr genaues Bild vor Augen und erlebt eine kleine Serie mit. Ein bisschen Tratsch gehört natürlich dazu, damit man selbst ein wenig diebisches Vergnügen erlebt, den gesellschaftliche Teilhabe damals so mit sich brachte – das ist gut und richtig so, denn beim Lesen geht es auch ums Vergnügen. Emilys zentrale Eigenarten sorgen für einige Stolperstellen, an denen das Märchen vom sozialen Aufstieg eine enorme Wendung nehmen könnte und das Ende? Überrascht. Zum Schluss findet man heraus, worum es bei der Geschichte wirklich geht und das ist fantastisch konstruiert. Über ein Jahrhundert später schafft es die Autorin, Menschen mit hochgezogenen Augenbrauen sitzen zu lassen.
Für wen ist das Buch nun geeignet?
Für alle, die Bridgerton mochten und denen es nichts ausmacht, wenn es deutlich weniger explizit zugeht. Leser:innen, die etwas Geduld mitbringen und literally nicht von einem Höhepunkt zum nächsten eilen möchten.
Das Herz einer Lady. Frances Hodgson Burnett.
Anaconda Verlag. 7,95 Euro.