Kurz nach dem zweiten Weltkrieg: Das kleine Bergdorf Ievoli beherbergt ein leicht eigenartiges Völkchen – mitten unter ihnen wächst die zweite Stella Fortuna heran. Manchmal geht ihr im Leben alles flott von der Hand, manchmal muss ihr mal eben und wieder einmal das Leben gerettet werden. Ob nun Fluch, Ungeschicktheit oder Hexenwerk: Ihre Mutter und die Nachbarn rennen schon seit frühester Jugend öfters als gewünscht zum nächstbesten Arzt, um Stella nicht zu verlieren. Überhaupt wächst Stella in jugendlichen Jahren ohne gesellschaftlichen / patriarchalischen Druck heran, was sie für die weiteren Irrungen und Wirrungen ihres Lebens fit macht.
Ihr Weg wird sie bis in die USA führen, wo sie eine ganz andere Welt als das rückständige Bergdorf in Kalabrien vorfindet. Sie muss eine neue Sprache lernen und feststellen, dass sie trotz aller goldenen Versprechungen trotzdem noch am unteren Ende der Nahrungskette steht. Eine mögliche Ausflucht: Heirat. Doch würde sie das nicht einfach vom Regen in die Traufe bringen? Und dann wären dann noch die weiteren Beinahe-Tode, denen sie erst mal von der Schippe springen muss.
Der Leseeindruck
Was zunächst wie ein kleiner, humorvoller Bericht aus einem familiären Umfeld klingt, entpuppt sich als Pralinenbox: Im Buch geht es um weit mehr als nur eine Auflistung der verschiedenen Beinahe-Tode der Stella Fortuna, denn das wäre womöglich sehr schnell mit einem kurzen Text erledigt. Stattdessen gestaltet die Autorin diese persönliche Familiengeschichte deutlich aufwändiger. Dabei bleiben Längen und eher uninteressante Partien nicht aus, sodass man sich ab und zu eine Pause vom Lesen gönnt / gönnen sollte.
Thematisch geht es vor allem um die sich wandelnde Rolle der Frau – die durch verschiedene Faktoren befeuert wird. Beispielsweise durch die Rolle als Mutter, die sich und die Kinder „mit“ einem abwesenden Ehemann durchs Leben schlagen muss und dadurch notgedrungen stabile Selbstständigkeit erwirbt. Die in der Sekunde flöten geht, in der der Ehemann wieder das Spielfeld betritt. Analog das heranwachsende Mädchen: Wild, frei, ungebunden, erkundet die Welt nach ihrem eigenen Gefallen. Sobald ihr Vater wieder da ist, bringt er sämtliche gesellschaftlichen Zwänge mit sich. Dabei schafft die Autorin es, sich nicht ganz generisch gegen „die Männerwelt“ zu wenden, sondern fokussiert sich exklusiv auf den Mikrokosmos rund um Stella. Als männlicher Leser muss man sich also nicht auf Schelte gefasst machen, sondern interessante Denkanstöße zur Selbstreflektion. So manche Geisteshaltung mag sich auch unbewusst noch in heutigem Verhalten widerspiegeln …
Bisweilen starker Tobak also (statt rein humorvoller Unterhaltung), der auch nicht immer ganz einfach zu verdauen ist. Denn das Buch setzt sich sehr ernsthaft mit der damaligen Realität auseinander, die eines klar macht: Es war kein Zuckerschlecken und wir sind (im Durchschnitt) bisweilen ganz schön verwöhnt, wenn wir ehrlich sind. Sich diesen Spiegel permanent vorhalten zu lassen, macht nur bedingt Spaß und wird bisweilen etwas anstrengend. Gleichzeitig ist dieser Einblick in ein sehr persönliches Leben, was wiederrum super interessant ist. Dieses Hin und Her hält die Leserschaft durchaus bei der Stange.
Nicht zu vergessen: Trotz Typo in der Inhaltsangabe ein sehr schön gestalteter und robuster Umschlag!
Die sieben oder acht Leben der Stella Fortuna. Juliet Grames.
Droemer-Knaur. 22,99 Euro.