Bei der Festnahme eines Drogendealers geht etwas schief und die Kommissarin Noémie Chastain erleidet eine schwere Schussverletzung. Von nun an ist eine Hälfte ihres Gesichts entstellt. Viele in ihrem Umfeld kommen mit ihrem neuen Aussehen nicht wirklich klar. Auch Noémie selbst kann den Anblick ihres neuen Gesichtes noch nicht wirklich ertragen. Das einzige, das ihr bei der Genesung hilft, ist die Aussicht schnellstmöglich wieder in ihren Job einzusteigen und wieder ihr Team zu leiten. Doch weil man ihr nicht mehr zutraut, ein Team zu führen, wird sie gegen ihren Willen aus Paris in die Provinz verbannt. Dort soll sie prüfen, ob bei so einer geringen Mordquote ein Kommissariat überhaupt bestehen bleiben soll. Nach beschaulichen Wochen möchte die junge Frau ihre Heimreise antreten, doch da taucht auf dem See eine Tonne mit einem längst verwesten Leichnam auf, wodurch Noémie auf die Vorgeschichte Avalones stößt: Vor 25 Jahren wurde das Dorf evakuiert, überflutet, die Bewohner mussten dem neu geschaffenen Stausee weichen und wenige Kilometer entfernt im neuen Avalone leben. Doch drei Kinder kamen damals nicht mit …
Der erste Eindruck
Die Geschichte beginnt gleich mit Noémsis Tag X: die schiefgelaufene Festnahme, die ihr die Schönheit raubt. Anschließend geht der Kriminalroman – in vier Teilen – die kommenden Lebens- und Arbeitsstationen der jungen Frau durch. Dabei lässt der Autor wirklich tief in die Gefühls- und Gedankenwelt von Noémie blicken. Die Geschichte wirkt deswegen nicht immer wie ein normaler Kriminalroman, der nur die Ermittlungen beleuchtet, sondern eher wie eine wahre Lebensgeschichte über eine starke Polizistin mit einer kleinen Pechsträhne. In dem ganzen Drama ist aber eines wirklich bemerkenswert an der jungen Frau: Ihr bissiger Humor bleibt bestehen. Und dieser Sarkasmus ist wirklich erfrischend! Noémie ist eine wirklich tolle Protagonistin, für die man einfach nur Empathie empfinden kann, mit der man mit leidet und über deren scharfzüngigen Gedanken und Wortwechsel man einfach nur schmunzeln muss.
Seelische Heilung
Dass eine Person mit einem entstellten Gesicht sich erst einmal nicht im Spiegel betrachten kann, ist bestimmt für alle nachvollziehbar. Dass aber auch die engsten Bezugspersonen einem diesen Makel vorhalten und auf Abstand gehen, hinterlässt natürlich gravierende Spuren. Auch Noémie muss das erfahren. Dennoch trifft sie auf wirklich tolle Menschen, die sie nicht nur nach dem Äußeren beurteilen, sondern sie als Menschen sehen und dementsprechend behandeln. Dabei bekommt man als Leser:in mit, was für ein Unterschied zwischen Stadt und Land herrscht. Während in Paris ein Schönheitsideal vorliegt, dem die junge Frau nicht mehr entspricht, sehen die Menschen auf dem Land so eine Entstellung eher gelassen und betrachten ganz andere Werte. Somit ist der Einsatz in der Provinz nicht nur eine Strafe, sondern auch etwas eine Therapie, damit sich Noémie wieder selbst finden kann. Und mein absolutes Highlight ist ihr neuer pelziger Weggefährte, mit dem sie ihr Schicksal teilen kann!
Fazit
Bei einem Krimi rechnet man natürlich mit unvorhergesehenen Handlungssträngen, neuen potenziellen Tätern und dem ein oder anderen Plottwist. Aber rechnet man damit, dass auch eine Romanze plötzlich entsteht? Ich zumindest nicht! Die Leichtigkeit, die diese Liebschaft mitbringt und die Charakterentwicklung der Protagonistin fördert, setzt dem Krimi das Sahnehäubchen auf. Natürlich darf man sich auch auf viel Spannung, schockierende Enthüllungen und einen verdammt unerwarteten Täter freuen!
Lisa Albrecht (academicworld.net)
Olivier Norek. Das versunkene Dorf
BLESSING. 13,99 Euro.