Die Marke Beate Uhse stand über Jahrzehnte hinweg für das Versprechen, die Bedürfnisse von Männern zu erfüllen. In einer Zeit, in der 80 Prozent aller Kaufentscheidungen von Frauen dominiert werden, ein Rezept mit Katastrophengarantie. Zur Unterstützung hat sich der Erotik-Konzern Nicola Schumann ins Boot geholt, die gemeinsam mit ihrem Team die digitale Transformation voranbringen soll.
Frau Schumann, ein kleines Szenario zum Einstieg. Gerade kam der Auftrag ,Führen Sie unser Unternehmen in die Digitalisierung.’ Was ist Ihr erster Schritt?
Es gibt kein Patentrezept für Digitalisierungsprozesse. Und genau darin besteht die Herausforderung! In erster Instanz ist es, meiner Meinung nach, wichtig, dass überhaupt die Notwendigkeit einer Digitalisierung erkannt wird. Das ist ein entscheidendes Change-Management.
Der zweite Schritt besteht darin, eine unternehmensspezifische Strategie zu entwickeln, die konsequent und systematisch, über alle relevanten Bereiche hinweg, im Unternehmen umgesetzt wird. Ein bestehendes, möglicherweise seit Jahren erfolgreiches, Unternehmen in die Digitalisierung zu führen, ist eine gleichermaßen reizvolle wie auch umfassende Aufgabe: Alte Strukturen und Prozesse müssen angepasst und die Produktwelten überdacht und gegebenenfalls modifiziert werden. Auch muss man Marketing- und Vertriebsstrategien auf die Digitalisierung ausrichten.
Das gesamte Unternehmen wird also zunächst in allen Bereichen und Aspekten auf die Digitalisierung vorbereitet. Bevor es aber an die tatsächliche Umsetzung geht, gibt es üblicherweise erst einmal jede Menge trockene Analysetätigkeiten und strategische Planungen zu erledigen.
Ist es leichter, ein Unternehmen oder ein Produkt digital zu transformieren?
Digital transformiert ist ein Unternehmen oder Produkt aus meiner Sicht dann, wenn es optimal an die Veränderungen des Digitalzeitalters angepasst ist und damit dessen Vorteile und Potenziale voll fürsich nutzen kann. Es geht dabei in beiden Fällen um die Veränderungsprozesse, die im Rahmen der digitalen Transformation vollzogen werden.
Bei einem Unternehmen sind diese Veränderungen aufgrund der oft komplexen, gewachsenen Strukturen und der spezifischen Abläufe häufig umfangreicher undaufwendiger als bei einem einzelnen Produkt. Abhängig vom Unternehmen und den herrschenden Rahmenbedingungen ist der Prozess der Digitalisierung mal mehr und mal weniger aufwendig.
Bedeutet Digitalisierung im Handel immer die Schließung von Filialen?
Wie das Beispiel Beate Uhse zeigt, ist das nicht zwangsläufig der Fall. Via Cross-Channel-Strategie verknüpfen wir die Vorteile der virtuellen mit denen der realen Welt. Dieses kanalübergreifende Einkaufsund Markenerlebnis bietet unseren Kunden echte Mehrwerte.
Gleichzeitig sind unsere Shops das Aushängeschild der Marke Beate Uhse: Hier erleben Kunden die Produktwelten live. Sie können anfassen, was sie interessiert, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen und sie bekommen zudem eine qualifizierte, service-orientierte Beratung. Diese individuelle und persönliche Note kann das Internet noch nicht bieten.
Welche besondere Herausforderung bot sich bei Beate Uhse?
Beate Uhse ist eines der traditionsreichen Unternehmen, das den Sprung in die Digitalisierung und den Wandel vom klassischen Offline-Handel zum Online-Händler, beziehungsweise Cross-Channel-Champion vollzieht. Anders als typische E-Commerce Start-ups, die direkt online an den Markt gehen, ist es für ein Unternehmen mit einer starken Heritage und einer über Jahrzehnte gewachsenen Markenbekanntheit ein längerer Prozess. Die Marke neu zu positionieren, benötigt Zeit. Die Chancen und Möglichkeiten von Digitalisierung und E-Commerce wurden erkannt. Nun arbeiten wir daran, die vorhandenen Strukturen im Unternehmen entsprechend zu gestalten, um die strategische Neuausrichtung und den Bereich E-Commerce in Marketing- und Vertriebsmaßnahmen umzusetzen.
Ein Markenrelaunch spricht immer auch die bestehenden Kunden an. Wollen die Kunden von Erotik-Händlern überhaupt direkt angesprochen werden?
Dank der jahrzehntelangen Pionierarbeit von Beate Uhse, ist Erotik – und damit auch der Handel mit erotischen Produkten – in Deutschland schon lange kein Tabuthema mehr. Spätestens seit Ende der 1990’er Jahre als Serien, wie ,Sex and the City’ das Thema Sexualität salonfähig gemacht haben, freuen sich auch der Käufer und die Käuferin von Sexspielzeug über eine freundliche Ansprache. Unlängst sorgte der Hype um ,50 Shades of Grey’ dafür, dass Artikel im BDSM-Sortiment reißenden Absatz fanden – und nicht selten wurde das Verkaufspersonal um detaillierte Erklärung der Utensilien gebeten. Die Gesellschaft geht inzwischen offen mit sexuellen Wünschen und Bedürfnissen um und die Dildo-Fee ist heute ein ebenso selbstverständlicher Gast wie früher die Tupper-Tante. Unsere Shops in Innenstadtlagen empfangen ihre zahlreichen Kunden genauso lifestylig und modern wie der Onlineshop.
Beate Uhse verschickt keine Kataloge mehr – wie kompensieren Sie das Geschäft, das dadurch generiert wurde?
Unser Kataloggeschäft war in den letzten Jahren zunehmend rückläufig. Gleichzeitig legen wir im Rahmen unserer neuen Unternehmensstrategie den Fokus eindeutig auf den E-Commerce. Insofern war die Einstellung des Kataloggeschäfts ein logischer und sinnvoller Schritt. Unsere Zielgruppen, Singles und Paare, erreichen wir mit unseren heutigen Vertriebskanälen nun besser und gezielter. Die Umsätze, die durch die Einstellung des Katalogs gegebenenfalls zurückgehen sollten, werden wir zukünftig durch den Onlinehandel mehr als nur auffangen.
Von der anderen Seite betrachtet: Sind die Kunden denn selbst hinreichend digitalisiert?
Die Antwort hierauf lautet ganz klar: Ja. Unsere Hauptzielgruppe ist zwischen 18 und 59 Jahre alt und versteht Erotik und Sexualität als Lifestyle. Onlineshopping ist für diese Zielgruppe alltäglich. Da wir zugleich die Kunden, die den Einzelhandel präferieren, weiterhin in unseren Shops begrüßen, decken wir alle Bedürfnisse und Einkaufsvorlieben ab.
Stichwort augmented reality – lässt sich das auf die Erotik-Branche anwenden?
Virtual Reality ist ein absoluter Trend für die Erotik-Branche und eröffnet vollkommen neue Möglichkeiten. Die Technologie ermöglicht den Usern unmittelbar am Geschehen teilzunehmen, was aktuell den Pornomarkt revolutioniert. In manchen Filmen sorgt eine speziell entwickelte Software dafür, dass die Handlung auf dem Bildschirm mit einem Toy in der Hand des Users synchronisiert werden kann. Auf die Weiterentwicklung der 360-Grad-Filme und ihrer technischen Raffinessen kann man – nicht nur aus erotischer Perspektive – gespannt sein.
Das Gespräch führte Bettina Riedel.
Nicola Schumann ist seit Juli 2015 Country Manager Deutschland von Beate Uhse. Die studierte Kommunikationswissenschaftlerin war zuvor als selbstständige Beraterin bei Amazon oder auch Google tätig.
Stand: Herbst 2016