Mit Wärme kühlen? Das klingt im ersten Moment paradox. Wie gut es aber funktioniert, beweist das Berliner Social-Start-up Coolar, das mit seinem wärmebetriebenen Kühlschrank drauf und dran ist, das wohl wichtigste Haushaltsgerät vom Stromkreislauf unabhängig zu machen. Im Interview sprach Coolar-Gründerin Julia Römer darüber, wie aus der anfänglichen Idee ein handfestes Produkt wurde, das nicht nur zum Klimaschutz beitragen, sondern sogar Menschenleben retten kann.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass ein Kühlschrank auch ohne externe Stromzufuhr funktionieren könnte?
Zunächst habe ich die Technologie dahinter kennengelernt. Das war während meines Studiums an der TU Berlin. Ich habe dort Wirtschaftsingenieurwesen mit den Schwerpunkten Technische Chemie und Verfahrenstechnik studiert und im Zuge dessen erfahren, dass man mit Wärme kühlen kann, indem man Adsorptionskälte nutzt. Das fand ich von Anfang an sehr faszinierend, weil man im Prinzip das Problem zur Lösung macht. Meine Bachelorarbeit habe ich dann in einem Unternehmen geschrieben, das auf Basis dieser Technologie große Industriekältemaschinen produziert. Oft habe ich dabei gedacht, dass es schon eine super Sache ist, mit Abwärme aus Industrieprozessen zu kühlen. Aber eigentlich gibt es ja überall Wärme, die zur Verfügung steht und kaum genutzt wird. Letzteres brachte mich zu der Überlegung, dass es doch toll wäre, eine Anwendung zu finden, die breiter genutzt werden kann als eine Industriekältemaschine, die nur Unternehmen brauchen: einen Kühlschrank zum Beispiel. Das ist schließlich eine Anwendung, die jeder besitzt oder benötigt. Diese Idee hat mich seitdem nicht mehr losgelassen
Während meines Masterstudiengangs habe ich dann an einer vom Climate-KIC ausgerichteten Summer School teilgenommen. Da ging es darum, in Gruppen eine klimafreundliche Innovation auszuarbeiten und dazu ein erstes Businessmodell aufzustellen. Die Idee von meinem Kühlschrank stieß dort auf sehr positives Feedback. Von diesem Moment an war mir klar, dass es tatsächlich einen Markt für mein Produkt geben könnte. Weil ich zu dieser Zeit sowieso kurz vor meiner Masterarbeit stand, entschloss ich mich kurzerhand dazu, in dieser den Beweis anzutreten, dass meine Idee technisch umsetzbar ist. Nach dem Masterstudium habe ich mir dann gesagt, dass ich, bevor ich direkt in irgendeinen Job einsteige und was ganz anderes mache, einfach mal ausprobieren möchte, wie weit sich die Idee trägt.
Es gehört sicherlich eine gehörige Portion Mut dazu, ein Start-up zu gründen. Sie sind noch sehr jung – wie wurde diese Entscheidung von Ihrem Umfeld aufgenommen?
Meinen Eltern und meinem Umfeld habe ich erklärt, dass es Sinn macht. Am Anfang war ja auch noch gar nicht die Rede davon, unbedingt sofort ein Unternehmen zu gründen. Es ging erst darum, die Idee weiter zu führen. Zu dieser Zeit hatte ich auch Nebenjobs, mit denen ich mich über Wasser halten konnte. Das Ganze entwickelte sich in dem Moment in Richtung Firma, als wir begannen, uns Förderprogramme anzuschauen und bei Acceleratoren wie Climate-KIC Greenhouse oder Cimate-KIC Accelerator zu bewerben. Natürlich stand bis dato die Frage im Raum, was ich da eigentlich mache und warum ich meine Fähigkeiten nicht nutze, um richtig Geld zu verdienen. Aber spätestens dann, wenn das Umfeld wahrnimmt, dass man mit der reinen Idee, die man hat, – auch wenn man noch gar nicht viel umgesetzt hat – irgendwie seinen Lebensunterhalt bestreitet, ist das plötzlich eine völlig andere Ausgangssituation. Je mehr Aufmerksamkeit Coolar jetzt bekommt, desto mehr glaubt auch mein Umfeld daran, dass das Ganze mehr ist als eine Idee, in die ich mich heillos verrannt habe.
Wo soll Coolar einmal zum Einsatz kommen?
Wir haben uns natürlich überlegt, wo ein wärmebetriebener Kühlschrank am dringendsten gebraucht wird. Für uns war schnell klar, dass das infrastrukturell schwach ausgebaute Regionen sind, die entweder über keine oder nur über eine instabile Stromversorgung verfügen. Dort ist neben der Kühlung von Lebensmitteln vor allem die Aufbewahrung von Medikamenten, Impfstoffen und anderen medizinischen Produkten, die eine Kühlkette einhalten müssen, ein riesiges Problem. Entwicklungsorganisationen und Stiftungen fordern seit langem neue Lösungen in dem Bereich. Als wir davon erfuhren, wussten wir sofort, dass das genau das ist, wofür unser Kühlschrank das Licht der Welt erblickt hat. Wir hatten genau das Feld gefunden, in dem unser Kühlschrank einen echten Mehrwert bringen und das Leben vieler Menschen verbessern kann. Als Ingenieur ist es oft so, dass man etwas Tolles entwickelt, das aber einfach niemand braucht. Doch unser Kühlschrank war plötzlich mehr als ein nettes Gimmick oder ein Lifestyleprodukt. Auf einmal hatten wir eine Mission. Etwas das uns motiviert, weiterzumachen.
Können Sie uns einen Einblick in den aktuellen Entwicklungsstand von Coolar geben?
Aktuell haben wir einen Teststand und einen ersten Prototypen. Außerdem entwickeln wir gerade die ersten Pilotkühlschränke fertig, sodass wir diese bald auch in den Feldtest schicken können. Wir sind immer noch viel im Labor, wollen jetzt aber so schnell wie möglich mit unserem Produkt rausgehen.
Was sind dabei aktuell noch die größten Stolpersteine, die Ihnen im Weg liegen?
Die Finanzierung ist immer so ein Punkt. Das liegt vor allem daran, dass wir ein sehr hardwarelastiges Start-up sind und entsprechend hohe Kosten für Material und Maschinen haben. Der Faktor Geld hat uns längere Zeit gebremst; Wir konnten einfach nicht so machen, wie wir gerne wollten. Jeder im Team hatte einen Nebenjob, sodass wir nicht die komplette Zeit für Coolar da sein konnten.
Und dann ist es natürlich so, dass man bei einem Hardwareprodukt immer erst sehen kann, wie gut alles funktioniert, wenn man es wirklich zusammensetzt und testet. Es kann immer sein, dass man dann nochmal an einer Stelle optimieren und nachbessern muss. Das ist nicht trivial und kann eine Weile dauern, weil zum Beispiel neue Bauteile erst hergestellt werden müssen. Zeit und Geld sind also definitiv die größten Herausforderungen, die uns so begegnen.
Wie sehen Ihre Finanzierungsmaßnahmen genau aus?
Wir haben lange Zeit die Strategie gefahren, Wettbewerbe zu bespielen und diese möglichst zu gewinnen, um Preisgelder zu generieren. Außerdem haben wir ein kleines Investment von Climate-KIC bekommen. Das sind die Gelder, mit denen wir uns jetzt gerade finanzieren. In naher Zukunft wollen wir dann eine erste Seed-Finanzierungsrunde starten und hoffentlich erfolgreich abschließen. Das würde uns mehr Sicherheit über längere Zeit bringen.
Das klingt nach einem unglaublich vollen Terminkalender. Wie sieht der typische Arbeitsalltag als Leiterin eines Start-ups aus?
Einen ‚typischen‘ Arbeitstag gibt es eigentlich nicht. Stattdessen steht ständig etwas anderes auf der Agenda. Natürlich sind viele administrative Aufgaben zu erledigen, aber auch Auftritte auf riesigen Messen und Konferenzen gehören dazu. Gerade pitcht man seine Idee noch vor einem großen Publikum, und im nächsten Moment schreibt man Patente oder findet sich im Labor wieder. Man schaut sich an, wie der Teststand läuft, und überlegt, was es noch zu optimieren gibt. Es ist wirklich das komplette Spektrum. Das macht es aber auch so spannend. Natürlich kann es manchmal sehr herausfordernd sein, weil man einfach mit vielen Sachen konfrontiert wird, mit denen man vorher noch nie konfrontiert wurde. Kältemaschinen und Adsorptionssyseme entwickeln zu können, ist sehr schön, aber für den Alltag in einem Start-up reicht das bei Weitem nicht aus. Man darf sich davon nicht frustrieren lassen, sondern muss es als Chance begreifen. Schließlich lernt man dadurch auch jeden Tag sehr viel dazu.
Frauen sind im MINT-Bereich ja noch immer in der Minderheit. Inwiefern hat Sie das in Ihrem Schaffen beeinflusst?
Das ist eine Problematik, die vor allem von außen an uns herangetragen wird. Für mich persönlich war das nie so ein starkes Thema. Meine Eltern sind beide Ingenieure und haben beide immer Vollzeit gearbeitet. Mein gesamtes Bekanntenumfeld funktioniert genauso. Die Frauen darin haben sich fast alle beim Studium kennengelernt. Bevor ich angefangen hatte zu studieren, habe ich es nie als besonders erachtet, dass ich in eine technische Richtung ging. Im Studium merkt man das dann natürlich etwas schneller, weil plötzlich sehr viel weniger Frauen da sind als Männer. In meiner Vertiefung ging das sogar noch: Technische Chemie und Verfahrenstechnik sind relativ ausgewogen, was die Geschlechterverteilung angeht. Aber über den kompletten Studiengang hinweg waren es dann doch nur etwa 20 Prozent Frauen.
In der Start-up-Welt ist es sehr unterschiedlich. Als Social Impact Start-up waren wir zum Beispiel zwischendurch im Social Impact Lab aktiv. Da hat sich gezeigt, dass in Start-ups mit sozialem Anliegen tatsächlich wahnsinnig viele Frauen aktiv sind – viele davon als Gründerinnen. Das war eine tolle Mischung und sehr angenehm. Im Clean- und Greentech-Bereich ist es hingegen völlig anders. Da falle ich als Frau wirklich aus dem Raster. Gerade das Climate-KIC-Programm, das eigentlich sehr viel Wert darauf legt, Unternehmen mit hohem Frauenanteil zu fördern, tut sich unheimlich schwer damit, entsprechende Start-ups zu finden. Dabei ist es nicht so, als würden sich Frauen nicht trauen, zu gründen. Die Problematik fängt meines Erachtens nach viel früher an: Es gibt noch immer zu wenige Frauen, die überhaupt ein Studium im MINT-Bereich in Betracht ziehen. Das mag daran liegen, dass es bis jetzt nicht genug Frauen in der Branche gibt, die dem Nachwuchs als Beispiel dienen könnten. Ich hatte meine Mutter als Rollenvorbild.
Wann können Privatkunden in Europa mit Coolar rechnen?
Zunächst wollen wir uns voll auf den humanitären Aspekt von Coolar konzentrieren. Das heißt aber nicht, dass wir den Kühlschrank nicht irgendwann für jeden, der ihn haben möchte, zur Verfügung stellen wollen. Das ist natürlich noch ein längerer Weg. Schließlich geht es dann auch um Themen wie Installation und Integration in den Haushalt. Es ist schließlich ein Unterschied, ob ich einen Kühlschrank in die Steckdose stecke oder ihn ins Warmwassernetz integrieren muss. Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen, sobald die Variante für Medikamente und Impfstoffe fertig ist. Es ist natürlich unsere Vision, dass Coolar irgendwann überall dort steht, wo Wärme zum Kühlen verfügbar ist.
Das Gespräch führte Andreas Norden.
Julia Römer studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit den Schwerpunkten Technische Chemie und Verfahrenstechnik an der TU Berlin. Heute ist sie Geschäftsführerin des Start-ups Coolar, das sie 2014 gründete.
Mehr Informationen zu Coolar gibt es auf der offiziellen Website des Unternehmens.
Stand: Herbst 2016