Knigge und Ratgeber für gutes Benehmen gibt es einige – seit Jahrhunderten. Zu den älteren Vertretern gehören die Kolumnen von Eustachius Graf Pilati, die aber überraschend charmant und modern sein können!
Ein wenig gutes Benehmen schadet eigentlich nie und der Wunsch danach, nicht unangenehm aufzufallen, zeigt sich in den vielen Knigge-Varianten, die es analog und digital gibt. Das Beispiel, das nun von Rainer Erlinger herausgegeben wurde, basiert auf den echten (!) Kolumnen von Eustachius Graf Pilati von Thassul zu Daxberg, die um die Jahrhundertwende in der Berliner Tageszeitung erschienen sind.
Die Themen sind sehr vielfältig – manches Mal passen sie sicherlich nicht mehr in die Moderne und laden eher zum Schwelgen ein. Beispielsweise, wie sich die militärische Pünktlichkeit hochrangiger Offiziere ins zivile Leben einpassen lässt. Oftmals lassen sich die Kolumnen aber noch gut in die heutige Zeit übertragen: Von vermeintlichen Banalitäten, wie voll man Gläser eingießen sollte, zum Thema „Schmutz und Sauberkeit“ zu einem grandios pragmatischen Satz: „Wer hustet, möge daheim bleiben.“ Dazwischen schweben geradezu poetische Formulierungen, die schlichtweg Spaß machen, sie zu lesen. Ironie findet sich zudem auch noch, sodass die Kolumnen keine sture Belehrung über geltende Regeln ist, sondern wahrhaftig kleine Plaudereien beim Tee/ Kaffee / …
Der Autor ist also ganz offensichtlich kein Hof-Charmeur oder gar Lackaffe, sondern geht durchaus ehrlich und pragmatisch an das gute Benehmen heran. Die Phrase „sehr angenehm“ bei der Vorstellung von Personen findet er unsäglich, weil genau genommen eine Lüge. Auch „Gestatten Sie, Müller“ nimmt er auseinander – weil die Frau Müller quasi um Erlaubnis bittet, Müller zu heißen. Da hat der Gute nicht ganz Unrecht, selbst über hundert Jahre nachdem er diese Meinung äußert. Es gibt noch viele Beispiele, mit denen er demonstriert, dass man gutes Benehmen haben kann, ohne an Nettigkeit oder Normalität zu verlieren.
Was inhaltlich so zauberhaft ist, muss auch äußerlich so transportiert werden: Die Seiten sind kein Standardpapier, recht dünn und damit passend zu der filigranen Schrift, in der der wichtigste Punkt jeder Kolumne pointiert wird. Tolle Haptik, die die Gesamtwirkung noch einmal positiver werden lässt.
Meine Empfehlung für engagierte Leser – jeden Tag eine Kolumne vor dem Schlafengehen. Für Vollzeitbeschäftigte Studenten: Jede Woche eine reicht auch vollkommen und wird sich sicherlich positiv auf euren Berufseinstieg auswirken. Denn selbst wenn ihr die Regeln nicht penibel befolgt, habt ihr euer Bewusstsein dafür geschärft und könnt in etwaigen „brenzligen“ Situationen sicherlich das richtige Benehmen ableiten.
Bettina Riedel (academicworld.net)
Etikette-Plaudereien. Herausgegeben von Rainer Erlinger.
Fischer Verlage. 12,00 Euro.