„Genau das Glücklich-werden-wollen steht dem Glücklich-werden im Weg“
Wo willst du in 10 Jahren in deinem Leben stehen? Wer einen Moment über die Frage nachdenkt, wird vermutlich nichts gegen die Antwort „Ich will glücklich sein – am besten mein ganzes Leben!“ einzuwenden haben. Was aber ist Glück und worauf müssen wir achten, um glücklich zu sein? Eva Lermer weiß Rat.
Stelle dich doch bitte kurz vor. Wie bist du da angekommen, wo du heute stehst?
Mein Name ist Eva Lermer. Auf dem Weg zu meiner Professur an der Technischen Hochschule Augsburg habe ich an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) Soziologie und an der Universität Salzburg Psychologie studiert. Im Anschluss bin ich zurück an die LMU nach München und habe dort in Psychologie promoviert und habilitiert in Kooperation mit der Münchner Rückversicherungsgesellschaft zum Thema Risiko. Das ganz konkret zu Fragen wie etwa: wie schätzen Menschen Risiken ein, wie kann man Fehler bei Risikoschätzungen reduzieren und wie lässt sich menschliches Risikoverhalten durch verschiedene Arten des Denkens verändern?
„Kontext prägt“. Also das womit wir uns beschäftigten und umgeben (auch und insbesondere Menschen), beeinflusst uns. Das habe ich mit all der Risikoforschung zunehmend gespürt. Risiko hat per Definition Negatives zum Thema, sonst spricht man von Chance oder nur Wahrscheinlichkeit. Und diese ständige Beschäftigung mit Negativem motivierte mich, mich mit der Positiven Psychologie zu beschäftigen.
Heute habe ich verschiedene Forschungsthemen, die mich interessieren. Derzeit sind es vor allem Themen wie Mensch-KI-Interaktion. Hier kommt mir meine Erfahrung aus der Risiko- und Entscheidungs- psychologie zugute. Aber auch die Frage, wie können wir Konzepte und Erkenntnisse der Positiven Psychologie in Organisationen integrieren, interessiert mich.
Was hat dich dazu gebracht zu studieren?
Nach dem Abi habe ich mich erstmal selbständig gemacht. Ich wollte frei und unabhängig sein. Das hat sich erstmal großartig angefühlt und ich war stolz, bereits nach wenigen Monaten den ersten Urlaub selbst bezahlen zu können. Nach etwa zwei Jahren aber lockte mich die Uni doch. Psychologie war mir bereits vertraut, da meine Eltern Psychologen sind. Ich habe dann mit Soziologie an der LMU begonnen – das Grundstudium war zu dieser Zeit ziemlich überlappend mit dem der Psychologie. Bald habe ich festgestellt, dass mich ein grundständiges Psychologiestudium auch noch interessiert.
Deshalb habe ich parallel dazu Psychologie an der Uni Salzburg studiert. Das Doppelstudium und das Pendeln zwischen München und Salzburg war zwar sehr herausfordernd, aber ich habe es auch genossen. Und je mehr ich lernte, desto mehr Freude hat es mir gemacht.
Einer deiner Schwerpunkte ist die sogenannte „Positive Psychologie“. Was genau ist das?
Die Positive Psychologie ist eine Ausrichtung der Psychologie, die sich mit Theorien und Konzepten beschäftigt, die das Leben lebenswert machen. Ein Fokus, der in der Psychologie nicht immer dominant war. Der Psychologe Martin Seligman widmete seine Grundsatzrede als Präsident der American Psychological Assoziation (APA) 1998 der Ausrichtung der Psychologie mit dem Titel: „Building human strength: Psychology’s forgotten mission“. Darin beschrieb er, dass die Psychologie noch vor dem zweiten Weltkrieg drei Ziele hatte:
- Die Heilung psychisch kranker Menschen
- Die Verbesserung der Lebensqualität aller Menschen
- Die Identifikation und Förderung von Begabungen und Talenten
Aufgrund von Finanzierungen, die sich vor allem auf das erste Ziel konzentrierten (zum Beispiel Forschungsgelder gab es vor allem für Anträge zum Thema psychischer Erkrankungen) rückten die Ziele zwei und drei in den Hintergrund. Die Positive Psychologie trägt dazu bei, das entstandene Ungleichgewicht, das durch einen starken Fokus auf Klinischer Psychologie lag, zu reduzieren. Ergänzt sei hier jedoch, dass die meisten Gegenstände der Psychologie neutral (also weder „positiv“ noch „negativ“) sind, wie zum Beispiel, dass wir uns an Normen orientieren, oder wie unsere Wahrnehmung funktioniert.
Was ist Glück überhaupt?
Glück wird unterschiedlich definiert. Je nachdem mit welcher Perspektive man darauf schaut. Meinen wir damit zum Beispiel Wohlbefinden, Happiness, Glück gehabt haben oder Lebenszufriedenheit? Nicht selten werden diese Begriffe wenig trennscharf und oder gar synonym verwendet.
Und was macht uns glücklich?
Mein Vater hat Anfang der 1980er Jahre den Neurologen und Psychiater Viktor Frankl interviewt und ihn genau das gefragt: „Was macht die Menschen glücklich?“. Die Antwort Frankls trifft den heutigen Kenntnisstand der Forschung – genau das Glücklich-werden-wollen steht dem Glücklich-werden im Weg: „Der Mensch, je mehr er das Glücklichsein zum Ziel macht, umso weniger ist er fähig es zu erreichen. […] je mehr es einem um die Lust geht, umso mehr vergeht sie einem auch schon“. Frankl begründet dies damit, dass Glück eine unbeabsichtigte Wirkung ist. Der Mensch strebt danach, einen Grund zu haben zum Glücklichsein, zum Beispiel wenn man aufgeht in einer Aufgabe oder in der Liebe zu einem Menschen.
Nach dem Abitur und anderen Schulabschlüssen, stehen viele Wege offen. Was würdest du anderen raten, damit sie langfristig glücklich sein können?
Wie eben erwähnt, würde ich nicht das Glücklich-werden-wollen in den Fokus stellen, sondern die eigenen Stärken und Ziele beziehungsweise die Identifikation dieser. Eine Empfehlung ist daher eine einfache Version des sogenannten Ikigai-Modells (japanischen für „Lebenssinn“, „wofür es sich zu leben lohnt“): hierbei füllt man drei sich jeweils überschneidende Kreise, indem man sich folgende Fragen stellt und je Kreis beantwortet: Was kann ich gut (was sind meine Talente und Begabungen)? Was bereitet mir Freude? Womit kann ich Geld verdienen? Das Befüllen der Kreise muss nicht auf einmal geschehen, das kann wachsen. Vielleicht suchst du dir hierfür auch Unterstützung von Menschen, die dir nahestehen, die dich und deine Begabungen gut kennen.
Das, was sich dann in der Schnittmenge der drei Kreise findet, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit ein Ziel zu sein, dass einem gut tun kann, bei dem man im Tun aufgehen kann und sich idealerweise den Lebensunterhalt verdienen kann. Im nächsten Schritt bietet es sich an, zu überlegen: wie komme ich da hin?
Einige Menschen haben die Einstellung, ihre Karriere erst im Sprint abzuarbeiten und sich erst nach Studium und Berufseinstieg um ihr Glück kümmern zu wollen. Ist das eine nachhaltige Lösung, oder würdest du von so einem Lifestyle abraten?
Wie schade wäre es, Glück nicht auch schon während dieser wertvollen und oftmals intensiven Zeit des Lernens und der persönlichen Entwicklung zu empfinden. „Begeisterung ist ein Schlüssel zum Erfolg“. Das erlebe ich durchwegs bei mir und meinem Umfeld. Wenn wir Freude an etwas haben, ist es auch wahrscheinlicher, dass wir darin richtig gut werden. Das ist ein Positiv-Kreislauf. Dafür aber bedarf es Offenheit und oftmals auch ein wenig Mut, die Komfortzone zu verlassen, sich auszuprobieren, sich etwas zuzutrauen.
Was wären zusammengefasst deine konkreten Tipps?
Gerne möchte ich dazu ermutigen, offen, interessiert und wissensdurstig zu sein. Verfolgt nicht Glück oder Lustgewinn als euer Hauptziel. Deutlich vielversprechender ist es stattdessen, sich darauf zu konzentrieren, zu lernen, zu wachsen und Bedeutung im Tun zu finden. Engagiert euch am besten in Aktivitäten, die euch wichtig sind, guttun und idealerweise auch anderen helfen.
Baut Beziehungen auf zu Menschen, die euch von Herzen Gutes gönnen und euch unterstützen. Erlaubt euch auch mal Fehler zu machen und daraus zu lernen!
Prof. Dr. Eva Lermer ist Professorin für Organisationspsychologie und soziale Kompetenzen an der Technischen Hochschule Augsburg. Sie hat Soziologie und Psychologie studiert und schließlich in Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München promoviert. Sie forscht heute zu
Themen wie Risikoverhalten oder Mensch-KI Interaktion. Ihr Buch Positive Psychologie erschien 2019 im UTB Verlag und wie der Titel schon vermuten lässt, stellt sie die Grundlagen der Positiven Psychologie mit dieser kompakte Einführung vor.
Wie du deine Superkräfte entdeckst, kannst du hier nachlesen.