„Die Fehler des Systems zeigen sich seit einer Weile und werden immer offensichtlicher!”
Das Bildungssystem, wie wir es kennen, hinkt den modernen Anforderungen hinterher. Während sich die Welt in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch gewandelt hat, hat das Schulsystem kaum Schritt gehalten. Die Antwort auf diese Lücke? Digitale Nachhilfelehrer wie Daniel Jung außerhalb der traditionellen Schule.

Warum ist ein Nachhilfelehrer im Internet außerhalb der Schule überhaupt nötig?
Weil das System völlig überaltert ist und praktisch null Innovation fördert. Die Welt hat sich vor allem in den letzten 20 Jahren so extrem gewandelt. In der gleichen Zeit hat es das Schulsystem nicht geschafft, mitzukommen. Und dadurch wird jedes Angebot, welches diese Entwicklungen aufgreift, dankend angenommen. Außerdem ist es natürlich auch der Bereich, in dem ich tätig bin.
Mathematik ist sowohl in der Schule als auch später oft im Studium ein grundlegendes Fach. Hier dann die Themen ohne große Show sachlich zu erklären, verständlich darzustellen und dann auch noch in einem modernen und zukunftsfähigen Format zu verpacken, stößt auf sehr viel Zuspruch. Am Anfang hat das auch in Deutschland etwas gedauert. Ich bin jetzt seit 20 Jahren in der Nachhilfeszene unterwegs und 2011 habe ich dann angefangen, mein Wissen auch zu digitalisieren.
Wieso ist das Format von Videos so vielversprechend, auch wenn es um Lerninhalte geht?
Also natürlich hat man durch die Digitalisierung von Vorlesungen oder Wissen eine deutlich breitere Auswahl an Möglichkeiten. Man bekommt Zugriff auf die unterschiedlichsten Wege, Wissen vermittelt zu bekommen und kann herausfinden, auf welche Weise man es am besten versteht. Das ist genau auch das, was Schulen eben verpassen zu leisten.
Die renommiertesten Unis der Welt verwenden seit Jahren Videoaufzeichnungen und veröffentlichen diese teils kostenlos im Internet. Deutsche Schulen nutzen dieses interessante und vielversprechende Format nicht oder fangen gerade erst an, sich damit zu beschäftigen. Und ich habe es dann mit meinen Videos geschafft, die Möglichkeit zu bieten, auf einer Lernreise Wissenslücken zu schließen.
Das bedeutet, siehst du in der zu langsam voranschreitenden Digitalisierung das große Problem des deutschen Bildungssystems?
Wichtig dabei ist vor allem, ich sehe das Problem nicht nur, ich erlebe es wirklich in sämtlichen Prozessen. Geld wird locker gemacht, kommt aber nicht da an, wo es hin sollte. Und alles prasselt ein auf ein Schulsystem, welches damals konzipiert wurde, um die Umstellung von Agrarwirtschaft hin zur Industrialisierung zu ermöglichen. Es ist ein System, das eine bestimmte Art von Arbeitern hervorbringen soll. So wie die Gebäude konzipiert sind, so wie der Unterricht konzipiert ist. Das ist alles von vorgestern. Und die Freiheit den Lehrkräften zu geben, neues zu probieren oder innovativ zu sein, das unterstützt und fördert dieses System überhaupt nicht.
Genau deshalb habe ich mich auch damals für den Weg des Unternehmers entschieden. Ich wollte die Freiheit, Sachen auszuprobieren und Rückmeldung zu bekommen. Die Freiheit, innovativ zu sein und gleichzeitig das Bisherige zu verbessern. Die Fehler des Systems zeigen sich seit einer Weile und werden immer offensichtlicher. Das letzte PISA-Ergebniss war das schlechteste aller Zeiten und dann ist auch noch Mathematik das allerschlechteste Fach. Alles eine Konsequenz aus dem genannten und der Grund, wieso meine Videos den Anklang finden.
Was sind die konkreten Fehler im System und was können Abiturient:innen machen, um es zu vermeiden durch dieses veralteten Bildungssystems zurückzufallen in der Arbeitswelt. Ich gebe direkt eine Empfehlung mit. Holt euch alle das Buch „The Khan Academy“, das ist so aktuell wie nie. Darin spricht Salman Khan alles an, alles ganz sachlich. Zum Beispiel erläutert er, dass die Aufteilung der Stufen nach Jahrgängen nichtmehr sinnvoll ist. Es war lange technologisch nicht möglich, dies aufzubrechen, aber spätestens seit den 2010er Jahren wäre das auf jeden Fall umsetzbar.
Daniel Jung ist Deutschlands bekanntester Experte für digitale Bildung und Shootingstar der Mathematik. Seit 2011 veröffentlicht er auf seinem YouTube-Kanal (Mathe by Daniel Jung) Mathe- und Lernvideos für Schüler, Studenten, Lehrer und Interessierte. Er hat das erfolgreiche Bildungsunternehmen StudyHelp mitgegründet und gilt als Vorreiter der „digitalen Bildungssysteme“.
Hier auch nochmal eine weitere Empfehlung: Der TED-Talk von Salman Khan „How AI can safe not destroy education“. Die grundlegende Message möchte ich aber vorweggreifen. Jeder kann sich durch das Internet Wissen selbstständig aneignen. Das ist ein unglaublich wichtiger und zentraler Punkt. Sich bewusst Zeit nehmen und sich mit dem Internet neue Skills aneignen. Anstatt auf der Social-Media-Plattform eurer Wahl eure Zeit zu verbringen, setzt euch hin und nutzt die unglaublichen Möglichkeiten der Self-Education, die euch das Internet bietet.
Es wird immer wichtiger werden, zu lernen, mit der Digitalisierung im Sinne von Endgeräten, Software, Lernprogrammen und so weiter umzugehen. Dies wird in der Schule nicht vermittelt. Und das Schlimme ist, wir sind sogar noch spät dran. Als ich 2011 mit meiner Internetlaufbahn begonnen habe, war wie bereits erwähnt das Konzept der Online-Lehreinheiten in den USA bereits voll etabliert.
Auf deiner Website ist nachzulesen, dass du zurzeit ein besonderes Interesse an dem Thema KI hast. Woher kommt das?
Als Erstes sollte man dabei sagen, dass ich mich bereits seit über vier Jahren intensiv mit dem Thema auseinandersetzte. Bereits in meinem Buch, das ich 2019 geschrieben habe, beleuchte ich die Möglichkeiten, die uns durch den technologischen Fortschritt eröffnet werden. Es liest sich aktueller denn je, ich war einfach zu früh. (lacht)
Eins ist mir hier noch sehr wichtig, die Lösung des Problems ist es nicht, jedes Klassenzimmer mit einem E-Board auszustatten und die Videos von zum Beispiel MRWissen2Go oder mir laufen zu lassen. Es geht jetzt darum, sich grundlegende, fundamentale Fragen zu stellen.
Hier der Rat: Seht nicht alles schwarz. Wartet nicht darauf, bis aus dem System heraus eine fundamentale Änderung kommt, sondern setzt selber an und macht euch auf die Reise und lernt, was ihr für eure Zukunft braucht. Lernt zu lernen, euch Dinge beizubringen und vor allem lernt zu kommunizieren. Die KI verändert die Anforderungen an die Skills, die wir in Zukunft brauchen werden, und es ist wichtig, diese zu identifizieren und sich darin weiterzubilden.
Was sind deine Tipps, sich zu motivieren, Weiterbildungsinhalte zu konsumieren?
Wenn man bewusst lernen möchte, muss man dazu auch in der Lage sein, Störungen, wie zum Beispiel dem Smartphone zu widerstehen. Und allerspätestens in der Arbeitswelt muss man diese Fähigkeit besitzen.
Dabei ist YouTube auch bis heute eine tolle Plattform, um zu lernen und auch besser darin zu werden, sich zum Lernen zu motivieren. Ich kann nach bestimmten Themen suchen und mir informative Videos über zum Beispiel Mathematik, Biologie oder Physik anschauen. Ich bin nicht abhängig von Algorithmen, sondern kann mich bewusst dazu entscheiden, Lehrinhalte zu konsumieren und mich so weiterzubilden. Es ist wahnsinnig, was für eine Freude man empfinden kann, wenn man so etwas dazulernt. Probiert es aus. Was hast du für Tipps für Leute, die dir nacheifern und selbst informativen Content erzeugen wollen?
Gerade eben habe ich darüber noch ein Video gemacht. Ich kann euch den Nummer-Eins-Tipp für Reichweite im Internet mitgeben: „Macht qualitativ hochwertigen Content, der andere wissender macht“. Das heißt, wie der Cappuccino in Köln aussieht, macht mich nicht wissender. Wie deine Dior Schuhe aussehen, macht mich nicht wissender.
„Nehmt euch die Zeit und bildet euch selbst weiter.“
Wenn ihr kurzfristig Erfolg haben wollt, gibt es natürlich etliche Wege heutzutage, das im Internet zu erreichen. Doch für wirklich langanhaltende Perspektiven im informativen Contentbereich müsst ihr qualitativen Content produzieren, welcher einen gewissen Mehrwert für die Leute hat. Das ist ein langatmiger Prozess, der viel Geduld erfordert. Das ist eine der wichtigsten Eigenschaften, denn von jetzt auf gleich kommt es nicht zu Erfolgen.
Siehst du in deiner Arbeit und deiner Laufbahn auch einen sinnstiftenden Aspekt?
Natürlich ist es mir extrem wichtig, das Gefühl zu haben, etwas zu verändern beziehungsweise zu verbessern. Genau deshalb gehe ich immer wieder gerne mit Kooperationspartnern in die Schulen und versuche zu helfen. Es gibt auch einige Schulen, welche Eigeninitiative zeigen und von sich aus versuchen, ihr System umzukrempeln. Das ist bloß leider immer noch sehr mühsam in Deutschland. Es ist tatsächlich immer wieder ein Kampf gegen Windmühlen, wenn man versucht, an dem alteingesessenen System zu rütteln.
Ich war immer etwas zurückhaltend mit dieser Aussage, aber mittlerweile muss man sich eigentlich die Frage stellen: „Ist eine Veränderung überhaupt gewollt?“ Die Uhr tickt und es ist dringend notwendig, dass sich grundlegende transformative Änderungen abzeichnen. Im Großen und Ganzen helfen weder Videos noch Lernplattformen, denn das System ist aus der Steinzeit und muss sich nun endlich auch bei uns an die veränderten Anforderungen und Möglichkeiten unserer Zeit anpassen.
Du hast dein Lehramtsstudium abgebrochen und dich für eine Laufbahn als Unternehmer entschieden. Wie kam es zu diesem Entschluss?
Ich möchte dabei hervorheben, es war für mich der richtige Weg! Man muss den Mut und die Beharrlichkeit haben, diesen Weg zu gehen und auch durchzuziehen. Ich wollte einfach nicht in einem Bildungssystem enden und versauern, welches so grundlegend fehlerhaft ist. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich in meinem Studium auf meine Zukunft als Lehrer angemessen vorbereitet werde. Es ist wichtig noch einmal zu betonen, das war für mich persönlich der richtige Weg und jeder muss selbst herausfinden, welcher der Beste ist. Auch in den Universitäten ist das System zumeist veraltet und müsste fundamental überholt werden. Deutschland muss sich endlich neu organisieren und das Bildungssystem von Grund auf umkrempeln.
Was sind vielleicht noch einmal gebündelt deine Tipps an die Abiturient:innen?
Versucht wirklich aktiv neue Sachen zu entdecken und daraus etwas zu lernen. Und wenn es auch zu Beginn nur zehn Minuten am Tag sind, an denen ihr euch mit diesen Sachen beschäftigt.
Die nächsten Jahre werden unglaublich transformativ werden, fallt nicht zurück, nur weil unser Bildungssystem an diesen Stellen schon lange nicht mehr hinterherkommt. Ihr seid dadurch gezwungen, euch in die Eigenverantwortung zu nehmen und selbst dafür einzustehen, adäquat auf die moderne Welt vorbereitet zu sein. Nutzt bewusst das Wissen, das im Internet frei verfügbar ist und seid euch nicht zu schade, Geld auszugeben für qualitative und zukunftsorientierte Bildung.
Die ideale Vorbereitung für deine Zukunft
- The Khan Academy
Salman Khan präsentiert seine Erkenntnisse über die Fehler und Lücken in unserem Bildungssystem und erklärt, welche fundamentalen Fragen gestellt werden müssen, um dieses System zu modernisieren. - Das überforderte Gehirn
Das Buch bietet praktische und wissenschaftlich fundierte Strategien zur Bekämpfung von Ablenkungen wie zum Beispiel Social Media oder das Smartphone. - The Social Dilemma
Experten aus dem Silicon Valley erklären, welche negativen Einflüsse Soziale Medien auf die moderne Gesellschaft haben können. - The AI Dilemma
Tristan Harris und Aza Raskin diskutieren, wie vorhandene KI-Fähigkeiten bereits katastrophale Risiken für eine funktionierende Gesellschaft darstellen, wie KI-Firmen in einen Wettlauf geraten und vieles mehr.
Nicht nur Daniel Jung ist auf YouTube mit seinen Lernvideos sehr erfolgreich, auch Mirko Drotschmann alias MrWissen2go hat mehr als 2 Mio. Abonnenten auf der Plattform. Mit Mirko haben wir auch über seine Arbeit gesprochen, zu dem Artikel geht es hier.