Lisette Winter wächst in einem goldenen Käfig heran – doch sie kennt das Spiel: Sie hat als Frau dekorativ auszusehen, gut zu heiraten, Kinder zu bekommen. Nicht nur, dass sie nicht mehr Ansprüche erfüllen muss – sie darf gar nicht mehr mit ihrem Leben anfangen. Doch während sich die Teenie-Version ihrer selbst einfach nur etwas rebellisch verhält, merkt die heranwachsende Lisette, dass das echte Leben deutlich strengere Regeln mit sich bringt und ein Ausbruch erscheint immer lohnenswerter.
Fast arrangiert sie sich schon mit dem Gedanken, einen Baron zu ehelichen, um ihre Mutter zufrieden zu stellen, da ereilt sie die wahre Liebe. Ausgerechnet Schneider ist er und die erste Person, die Lisettes Stimme nicht zum Schweigen bringen will. Er unterstützt ihr Interesse an Kleiderdesign, die das Korsett komplett außen vor lassen. Doch um auch nur den Hauch einer Chance zu haben, müssen die beiden einen mutigen Schritt wagen: Lisette muss den goldenen Käfig verlassen und zusammen mit Emile ein völlig neues und deutlich ärmeres Leben aufbauen.
Der Leseeindruck
Obacht, dies ist der Auftakt zu einer Trilogie (falls du nicht noch eine Reihe anfangen möchtest). An sich kann man das Buch aber auch alleingestellt für sich lesen: Denn die drei Bände decken das Leben von 3 Generationen der Familie Winter ab. Band 1 dreht sich um Lisette, die in der heutigen Gegenwart die Rolle der Urgroßmutter unserer Protagonistin einnimmt.
Der Konflikt zwischen den Generationen ist das klassische Thema, wie es bei Familiensagas so üblich ist. Dabei geht es aber weniger darum, sich gegen eine andere Generation durchzusetzen. Vielmehr steht im Fokus, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss und bisweilen Großmütter und ihre Enkelinnen deutlich besser miteinander zurand kommen, als mit ihren Töchtern. Das vorherrschende Motiv ist die Suche nach Familienähnlichkeit, nach Bestätigung und Gründen, die einem selbst erklären, warum man ist, wie man ist und sich fühlt, wie man sich eben gerade fühlt. Dabei führt diese Suche unsere Protagonisten allesamt auf die falsche Fährte – denn natürlich ist man ein Produkt seiner Umwelt, aber auch ein Produkt seiner eigenen Wahrnehmung. Die Entwicklung einer Persönlichkeit funktioniert nicht nur unterbewusst und Lebenswege sind bewusste Entscheidungen.
Was besonders positiv auffällt, ist die Nähe zu den Personen. Die Gedankengänge sind realistisch, nicht idealisiert, ihre Handlungen vollkommen nachvollziehbar, die Emotionen greifbar, aber nicht künstlich aufgebauscht. Als Leserschaft ist man sowohl außenstehend als auch Teil von Lisettes Leben, die mit einer gehörigen Portion Energie das Leben durchschreitet. Aber auch sie hat Fehler, Macken und wurde nicht als perfekte Hauptperson designt. Das macht das Buch sehr erlebbar, greifbar und interessant. Wer von uns möchte nicht „einfach“ Menschen treffen, die einen verstehen, vor denen man nicht die Höflichkeits-Schutzmauer hochziehen muss? Eine echte Familie, eine echte Herde finden? Und am besten sich manchmal auch noch selbst verstehen. … und so sind wir alle ein bisschen Lisette.
Spannend wird sein, wie die Familiengeschichte weitergeht, denn Lisette erhält doch einen deutlichen Vorbildcharakter und ist innerhalb der Familie Winter die tonangebende Vorfahrin – und wirft damit einen Schatten, in dem man sich bewegen oder aus dem man ausbrechen kann …
Astrid Ruppert. Leuchtende Tage.
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