Obacht, hier geht es um Band 1 von offenbar 3.
Bahr, Caer, Weyd, Bellitas – eine Gruppe Entwurzelter mit magischen Fähigkeiten, die in einer verlassenen Poststation im Wald leben, fernab der Gesellschaft und Siedlungen, über die der Eiserne Baron herrscht. Ihr Tal ist in der Nacht finster und von Furcht gelähmt, denn aus Angst ist es verboten, nachts Fackeln brennen zu lassen oder laut zu singen. Bloß keine falsche Aufmerksamkeit auf sich ziehen! Das geht eine Weile gut, bis sich Schatten aus den Kriegsgräbern erheben und zu einem blutigen Massaker an allen Lebewesen ansetzen! Man könnte sie besiegen, indem man den Anweisungen einer alten Legende folgt, doch auf der plötzlichen Flucht versammeln sich Dorfbewohner, Stadtbewohner und weitere „Entwurzelte“ am Sitz des Eisernen Barons – der nicht helfen, sondern weiter Furcht sowie Hass gegen alle schüren möchte, die nicht aus seinem Tal stammen.
… und wie wir alle wissen, ist die Kombination aus Dunkelheit, Furcht und Hass eine besonders grausame Mischung, die das Schlimmste in den Menschen hervorruft. Eine Hexenjagd beginnt gegen unsere Held:innen, die doch die einzigen sind, die die alte Legende der Lichter auf den Türmen ernst nehmen und die Gefahr bannen könnten!
Mehr als nur eine gute Geschichte
Der Schreibstil ist nicht einfach „nur“ episch. Die Autorin spielt nicht nur mit Worten, sondern auch Grammatik und dem Buchsatz, was ein sehr interessantes Gesamtkonstrukt abgibt. Die Erzählstimme kommt stellenweise sehr prägnant durch, sodass man sich selbst fast vor einem Lagerfeuer sitzen sieht, während jemand Teil 1 der Wayfarer-Saga erzählt.
Ergänzt werden diese Besonderlichkeiten durch kleine Details, wie beispielsweise, dass man Funken, Magie und Lieder bittet, etwas zu tun oder zu lassen – die Magie hat damit ein Bewusstsein und vor allem das Recht, sich dem Anwender zu verweigern. Das heißt nichts anderes, als dass die magischen Charaktere keine Herrschaften sind und auch keine überlegene Bevölkerungsgruppe. Damit gerät der Auftakt direkt zu einer ganz besonderen Situation, die man in so manchem Fantasybuch aktuell vermisst – inklusive der Frage, welche Art von Bewusstsein Magie haben kann oder haben einfach alle Elemente dieser Welt ihr eigenes? Haben Flammen Namen oder gehören sie einfach zum Element Feuer und man bittet das Element um etwas? Fragen, die Spaß machen.
Toxisches Verhalten in Fantasy?
C. E. Bernard ist eine sehr reflektierte Autorin. Sie schreibt nicht einfach eine gut durchdachte Geschichte auf, sie schafft es, diese zu reflektieren und die Ergebnisse davon direkt in der Geschichte unterzubringen, gern garniert mit Zynik oder Sarkasmus. Beispiel (spoilerfrei) „Ein Lied soll die Schatten aufhalten?“ fragen sich die Leser:innen und die Autorin beginnt das Kapitel direkt mit „Ein Lied. Ein Lied sollte also ihre Rettung sein.“ Ja, warum nicht das offensichtliche thematisieren und Kritiker:innen viel Wind aus den Segeln nehmen und so richtig Fokus auf diesen Aspekt legen? Denn als nächstes fragt man sich „Okay und wie genau?“ – man ist also hooked und will mehr erfahren. Perfekt gelöst!
Zugleich ist das Buch für Fantasy sehr non-toxisch, denn sobald derartiges Verhalten seitens der „guten“ Charaktere ansatzweise auftaucht, die Charaktere das zur Sprache bringen – ebenfalls eine sehr coole Umsetzung. Wer also Angst davor hat, dass non-toxische Fantasy zu weichgespülten Geschichten und langweiligen Charakteren führt, darf sich gerne diesen Band 1 zu Gemüte führen und sich eines besseren belehren lassen.
Triggerwarnung / CN Vergewaltigung
Dennoch wäre durchaus eine Triggerwarnung für Vergewaltigung angebracht, die vorrangig im letzten Drittel des Buches auftauchen. Die Szenen sind durchaus gut, weil auf eine bestimmte Art ehrlich und ungeschminkt geschrieben und lassen keinen Zweifel daran, dass es eine furchtbare Tragödie, ein brutales Verbrechen ist. Doch gerade diese Offenheit kann bei Betroffenen einen Schock verursachen. Auch eine gewisse Kampfszene ist einfach schonungslos offen und reißt die Leserschaft in einen moralischen Abgrund, der absolut aufwühlt und nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Dafür braucht es zwar keine Triggerwarnung, aber wer heillos harmlose Fantasy sucht, wird hier ein hartes Erwachen serviert bekommen.
Das Fazit
Ein beeindruckender Auftakt, der sich lange in die Gedanken der Leser:innen einprägt und doch seltsam anziehend wirkt, weil sich dahinter eine Ehrlichkeit verbirgt, die man schon so oft gesucht und extrem selten gefunden hat.
Das Lied der Nacht, Teil 1 von 3. C.E. Bernard.
penhaligon. 15 Euro.