Im zarten Alter von 6 Jahren wird ein Junge von seinem Großvater bei einer Burg abgeliefert mit den Worten „Soll sein Vater sich um seinen Bastard kümmern.“. Gemeint ist Chivalric, Erbe des Königsthrons der sechs Provinzen. Der dankt nach dieser Geschichte aber ab, denn die Existenz des Bastards sorgt im Reich und am Hofe für Furore – seine Ehefrau konnte ihm bisher keinen legitimen Erben schenken. Fortan ruft man ihn nur „Junge“ oder „Fitz“, wie es einem Bastard eben zukommt. Zunächst lebt er mit dem Pferdemeister im Stall, wo er die Pferdezucht und den Umgang mit Hunden für den königlichen haushalt erlernt. Relativ schnell wird er vom König als Lehrling auf einen geheimen Bereich angesetzt: Bei dessen Assassinen zu lernen und im Auftrag des Königs Morde zu begehen. Das heißt nicht, dass er willkürlich politische Feinde aus dem Weg räumt, sondern erst einmal eine lange, schwierige Lehre. Seine ersten Opfer sind seelenlose Menschen, die von Roten Korsaren entführt und dann wie ohne Seele in ihr Dorf zurückgeschickt werden. Mit seiner Gabe, der sogenannten alten Macht, spürt er immer eine Verbindung zu allen Lebewesen, bis auf die Opfer der Roten Korsaren. Das Mysterium um ihr Leiden ist zu komplex, als dass er es umgehend lösen könnte. Zudem droht dem Reich durch die Korsaren immer größeres Leid, sodass er zu einer Gruppe Auswerwählter stößt, die in der „Gabe“ unterrichtet werden. Die meisten dieser Auserwählten tragen königliches Blut in sich und haben diese telepathische Fähigkeit vererbt bekommen. Doch auch diese Ausbildung birgt ihre Tücken in sich, denn der Lehrmeister ist Galen, der Fitz so gar nicht positiv gestimmt gegenüber stimmt.
Die Kritik
In dieser Besprechung wird sich kein Haar in der Kritiksuppe finden. Robin Hobb verbindet eine interessante Idee mit spannenden Charakteren, entwickelt sie weiter und schmeißt noch dazu hohe technische Erzählkunst mit in den Topf. Sobald der Leser in die erste Seite eintaucht, kommt er nicht mal mehr zum Luftholen empor. So fesselnd berichtet sie aus der ich-Perspektive des Jungen, den eigentlich niemand wollte, dass er die Gedanken des Lesers erst gar nicht wieder verlässt.
Dass sie sich dabei nicht auf einen Teenager oder ausgewachsenen Protagonisten verlässt, gibt der Autorin natürlich die Chance, ihn quasi vor der Nase der Leser weiterzuentwickeln. Und so nutzt die sozusagen den Serien-Effekt: Mit wem man sich gemeinsam weiterentwickelt (man ist ja in Gedanken über Jahre und viele hundert Seiten dabei), mit dem verbindet man etwas und wenn es nur der Wunsch ist, dass er schafft, was er sich vornimmt. Dabei rutscht die Geschichte nicht in die Märchenrubrik ab, denn eines ist klar: Die Welt, in der Fitz lebt, ist kein Zuckerschlecken. Ein Menschenleben ist nur so viel wert, wie er den Mächtigen unbekannt ist oder ihnen gerade noch nutzt. Alle anderen Personen sind quasi vogelfrei – und damit Bauern in einem immer komplizierteren Spiel aus Macht, Eifersucht, Geltungssucht und schlichtweg Zukunftsangst.
Die Art und Weise, wie Hobb erzählt, befindet sich auf höchstem Niveau. Jeder Satz sitzt und fügt sich flüssig in das Gesamtgefüge ein. Ihre Wortwahl ist exzellent und unterstützt die inhaltliche Vorstellungskraft des Lesers mit ausgewählten Ausdrücken, ohne zu überladen oder zwanghaft zu wirken. Die Übersetzung ist ebenfalls sehr stimmig. Man könnte was fast sagen, als Leser fühlt man sich in der Geschichte richtig ‚zuhause‘. Ein Geschenk für trübe Herbsttage, wie sie sicher bald auf alle zukommen werden.
Der inhaltliche Spannungsbogen wird sehr zart aufgebaut. Geht es anfänglich um Fitz‘ Schicksal als ungeliebtes Kind und seinen Weg in das Gefüge „königlicher Hof“, nimmt die Geschichte Stück für Stück innenpolitische Züge an – und letztendlich außenpolitische. Das Ende kommt überraschend, denn es entwickelt sich rasant und mit einer ungeahnten Ernsthaftigkeit.
Fazit: Rundum gelungen, in Perfektion ausgearbeitet. Ein inspirierendes Werk!
Bettina Riedel (academicworld.net)
Robin Hobb. Die Gabe der Könige.
penhaligon. 15,00 Euro.