Englisch, Spanisch, Türkisch, Irisch: Alles kein Problem
Jahrelang galt eine mehrsprachige Erziehung als überambitioniert und verwirrend für das Kind. Inzwischen hat sich diese Meinung aufgrund zahlreicher Studien geändert. Neben vielen anderen Vorteilen, bietet Mehrsprachigkeit einen Zugang zur sprachlichen Vielfalt, die man heutzutage nicht nur an Schulen und Universitäten, sondern auch im Esszimmer oder beim alltäglichen Einkauf antreffen kann.
Wer als Urlauber nach Irland kommt und ein Straßenschild liest, versteht erst einmal nur Bahnhof: Die erste Sprache, die er sieht, ist Irisch. Zur Erleichterung des typischen Touristen befindet sich unter der keltischen Schrift auch die englische: Irland hat zwei offizielle Amtssprachen und beide Sprachen durchdringen den Alltag.
Wie die irischen Kinder, haben viele Kinder auf der ganzen Welt von klein auf Kontakt zu mehreren Sprachen: Mehrsprachig aufzuwachsen ist keine Seltenheit. Es ist ein Phänomen, das auch in Deutschland immer häufiger auftritt: Familien ziehen aus einem fremden Land hierher und bringen ihre Heimatsprache mit. Kinder sollen bereits im Kindergarten Englisch oder Chinesisch lernen, um spätere Karrierechancen zu verbessern. Lange Zeit wurde jedoch befürchtet, das frühe Lernen von mehreren Sprachen könnte Verwirrung stiften und dazu führen, dass das Kind keine der zwei, drei oder vier Sprachen perfekt sprechen kann. Inzwischen haben Studien gezeigt: Mehrsprachige Erziehung bringt im Grunde nur positive Effekte mit sich – wenn bestimmte Grundregeln eingehalten werden.
Mehrsprachige Erziehung funktioniert, wenn die Sprachen klar voneinander getrennt sind
„Die Sprachenvielfalt ist für das Kind unproblematisch, solange die Situationen, in denen die jeweiligen Sprachen benutzt werden, konsequent getrennt bleiben“, sagt Professor Janet Grijzenhout, die an der Universität Konstanz Sprachwissenschaft lehrt und das dort ansässige Zentrum für Mehrsprachigkeit gegründet hat. Ein Konzept, das laut Grijzenhout zur erfolgreichen Mehrsprachigkeit beiträgt, ist das Prinzip „eine Sprache pro Elternteil“. Das heißt zum Beispiel: Der spanische Vater spricht mit seiner Tochter konsequent nur Spanisch, die deutsche Mutter spricht mit ihr ausschließlich Deutsch.
„Meistens ist es aber so, dass ein Elternteil die meiste Zeit mit dem Kind verbringt und deshalb auch viel mehr mit dem Kind spricht, so dass diese Sprache dominant anwesend ist, und die andere Sprache eigentlich etwas zu kurz kommt“, so Grijzenhout. Die Sprache, die am häufigsten gesprochen werde, werde dann viel schneller erlernt, als die zweite Sprache. Deshalb schlägt Grijzenhout die Alternative „eine Sprache pro Situation vor“: Beim gemeinsamen Essen soll spanisch gesprochen werden, bei Spaziergängen deutsch, im Kindergarten englisch.
Mehrsprachigkeit öffnet Türen zu besserer Denkleistung, Karriere und kultureller Kompetenz
Eine solche Erziehung muss durchdacht sein, sie erfordert viel Aufmerksamkeit und Planung. Doch sie bringt für das Kind nicht nur den Vorteil der Sprachkenntnisse mit sich: „Auf experimenteller Ebene, im Labor, schneiden zweisprachig erzogene Kinder bei bestimmten kognitiven Aufgaben besser ab“, sagt Tanja Rinker, Sprachwissenschaftlerin und Direktorin des Zentrums für Mehrsprachigkeit in Konstanz. Diese Kinder könnten zum Beispiel unwichtige Reize besser von wichtigen trennen, da sie es gewohnt seien, bei jedem Sprechakt eine der beiden erlernten Sprachen zu unterdrücken. Die Kinder „erwerben früh die Fähigkeit, flexibel mit Sprachen umzugehen.“ Außerdem könnten sie sich sicher in zwei Kulturkreisen bewegen.
Der Erhalt von und Zugang zu bestimmten Kulturen – das ist ein wichtiger Aspekt von Mehrsprachigkeit. Es ist das, was die spanisch-deutsche Familie mit den irisch-englischen Straßenschildern gemeinsam hat. Beide, die Migranten-Familie und der Staat Irland, weigern sich, die ursprüngliche Sprache zu vergessen. Kann die Sprache erfolgreich an die Kinder weitergegeben werden, dann ist sie deren Schlüssel zur Kultur der Eltern und Vorfahren. Eine durchdachte mehrsprachige Erziehung kann also nicht nur kognitive Denkprozesse und Karrierechancen verbessern – sie bringt auch einen kulturellen Wert mit sich, der im Umgang mit fremden Menschen, Ländern und Kulturen neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet.
Die Autorin: Die Stuttgarterin Silvia Schilling studierte an der Universität Konstanz die Fächer „British and American Studies“ und „Deutsche Literatur“. Während eines Auslandssemesters in Irland erkundete sie nicht nur jeden Winkel der grünen Insel, sondern lernte auch die Grundlagen der irischen Sprache. In ihrer Freizeit liest sie gerne und geht auf Reisen, wann immer es Zeit und Geldbeutel erlauben.