Kopfverletzungen bei Fußballprofis entstehen meistens durch das Zusammenprallen zweier Spieler. Aber auch Kopfbälle könnten viel schädlicher sein als angenommen, wie eine Studie der Uni Paderborn gerade untersucht. Müssen Kopfbälle verboten werden?
Loris Karius, der unglückliche Keeper des FC Liverpool, ist der letzte in einer Reihe von Fußballprofis, der einen schweren Kopftreffer hinnehmen musste. Neun Tage nach dem Champions-League-Finale gegen Real Madrid wurde bei dem Liverpooler Keeper, der mit zwei geradezu epischen Torwartfehlern die Niederlage besiegelte, im Massachusetts General Hospital eine Gehirnerschütterung diagnostiziert. Zwei Minuten vor seinem ersten Patzer hatte Madrids Innenverteidiger Sergio Ramos den ehemaligen Mainzer in einem Zusammenprall rustikal zu Boden gestreckt, Karius und seine Teamärzte signalisierten aber, das ein Weiterspielen möglich sei. Nur 120 Sekunden später warf der möglicherweise von einer „visuellen räumlichen Dysfunktion“ behinderte Torhüter dem Real-Stürmer Benzema den Ball tollpatschig an den Fuß, so dass sein Team in der 51. Minute in Rückstand geriet.
Nun lässt sich generell der individuelle Schweregrad einer Gehirnerschütterung kaum diagnostizieren, so dass es nicht geklärt werden kann, welchen Zusammenhang es zwischen den beiden Fehlern von Karius und dem Ellenbogen-Check gibt. Man wünscht ihm und auch dem aufgebrachten Fan-Umfeld, dass ihn mit Morddrohungen nach dem verlorenen Finale bedachte, dass die Fehlgriffe klar der Gehirnerschütterung zugeordnet werden, so dass er unbefangener seine Karriere fortsetzen kann.
Sichtbarer als bei Karius sind in den letzen Jahren die teilweise verheerenden Gesichts- und Kopfverletzungen, die sich die Spieler im Luftkampf um den Ball zuziehen. Nasenbeinbrüche, Schädelverletzungen und Jochbeinbrüche sind immer wieder zu beobachten und selbst wenn es unblutige Zusammenstösse im Kampf um den „hohen Ball“ sind, tut einem oft schon vom Zuschauen weh, wenn man zwei Köpfe ineinander krachen und die Spieler danach benommen auf dem Boden liegen sieht. Die Frage, wann auch Feldspieler nur noch mit einem Kopfschutz wie der tschechische Torwart Peter Czech auflaufen, habe ich mir schon oft gestellt.
Aber auch die Kopfbälle könnten in Verruf kommen. Professor Claus Reinsberger vom sportmedizinischen Institut der Universität Paderborn untersucht aktuell, welche Folgen Kopfbälle im Fußball haben. Wer selbst Fußball spielt, weiß, dass Kopfbälle nicht immer vergnügungssteuerpflichtig sind: Der Brummschädel ist wohl jedem Kicker vertraut.
Was passiert mit dem Sport, wenn man zweifelsfrei beweisen kann, dass beim Köpfen kleine Verletzungen des Gehirns entstehen?
Indizien für die gesundheitsschädliche Wirkung von Kopfbällen gibt es bereits: Das National Hospital für Neurologie in London hat die Gehirne von verstorbenen Ex-Kickern untersucht, die früh eine Demenz entwickelten und von denen bei 80 Prozent vorherige Gehirnschädigungen festgestellt worden sind. Obwohl die Fallzahl mit insgesamt fünf Fußballspielern noch zu gering für valide Schlussfolgerungen gewesen ist, ist man sich sicher, einen Zusammenhang hergestellt zu haben zwischen früher erlittenen Kopfverletzungen und dem Entstehen einer Demenz.
In den USA dürfen Kinder bis 10 Jahre deshalb überhaupt keine Kopfbälle im Spiel ansetzen. Was würde es bedeuten für den Fußball, wenn man aus Gesundheitsgründen Kopfbälle generell verbieten müsste?
Das Spiel würde sich kolossal ändern, Tore würden viel schwieriger erzielt werden können, weil das Mittel der „hohen Bälle“ untauglich wäre. Die als so gefährlich geltenden Standardsituationen würden komplett entschärft werden, sofern es nicht um Elfmeter oder direkte Freistösse aus guter Position geht: Nach einem Freistoß aus dem Halbfeld oder einer Ecke, die flach ausgeführt wird, ein Tor zu erzielen, wird deutlich schwieriger.
Sollte der Kopfball aus den Stadien verbannt werden, müsste man dies kompensieren, um das Spiel wieder torreicher zu machen. Die naheliegenden Möglichkeiten sind größere Tore und eine Verkleinerung der Spielerzahl pro Team, um mehr Räume auf dem Feld zu haben. Zusätzlich könnten auch Regeln Einzug halten, die man nur vom Taschenkick im Park kennt: „Drei Ecken ein Elfer“ könnte destruktive Verteidigungsstrategien bestrafen, „Letzter Mann“ den klassischen Torwart überflüssig machen.
Würde der Fußball dadurch unattraktiver werden? Nein. Im Gegenteil. Der Spielansatz des „Hoch und Weit“ war noch nie etwas für den Fußball-Feinschmecker. Tricks, Dribblings und flache Kombinationen sind oft viel spektakulärer.
Da die Neuregelung irgendwann im laufenden Spielbetrieb eingeführt werden würde, hätten es die Fußballer, die das Spiel mit Kopfball gewöhnt sind, bestimmt schwer und es würde zu einigen kuriosen Situationen kommen. Der Übergang in das kopfballfreie Spiel dürfte aber zu schaffen sein.
Der Fußball würde bei einem Kopfballverbot gesünder und schöner werden, auch wenn Traditionalisten zurecht einwenden werden, dass dadurch der ursprüngliche, kampfsportähnliche Charakter des Spiels verloren geht. Die Gegenrede dürfte in etwa so lauten: „Und als nächstes verbietet man den Körperkontakt im Zweikampf! Warum nicht gleich mit Wattebäuschchen bewerfen?“
Aber die Vorteile überwiegen doch deutlich: Bei einem Kopfballverbot würden hohe Flanken sinnbefreit sein, Luftduelle mit den oft verheerenden Kopfverletzungen würden rasant zurückgehen. Und die sich summierenden Mikro-Schädigungen des Gehirns durch Kopfbälle würden nicht mehr entstehen.
Und auch der Jugend-, Amateur- und Freizeitkicker müsste kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn er die Rübe einzieht, wenn ein Ball mit 100 km/h auf das eigene Tor zurast.