
Dies ist eine Rezension zu Band 1 der Jack Reacher-Reihe. Die Besprechung von Band 2 findet ihr unter diesem Link.
Der liebe Jack hat seit gerade einmal sechs Monaten seine Reisetätigkeit durch sein Heimatland, die USA angetreten. In vielerei Hinsicht will er seine eigene Identität klären, hat er Kindheit, Jugend und Berufsleben doch hauptsächlich im Ausland verbracht. Er strandet in der Kleinstadt Margrave, die er nur aufsucht, um nach einem alten Sänger zu suchen, von dem sein Bruder im einst erzählt hat. Beim Frühstück wird er von der lokalen Polizei festgenommen und des Mordes verdächtigt. Glücklicherweise kann er recht schnell beweisen, dass er ein hieb- und stichfestes Alibi hat. Dann gesteht ein lokaler Banker den Mord, der ihn aber genauso wenig begangen haben kann. Die Identität des Toten bleibt lange ein Rätsel und es taucht sogar noch eine zweite auf, bevor klar wird, dass Jack Reacher höchst persönliche Motive hat, den Täter zur Strecke zu bringen. An seiner Seite steht anfänglich nur Roscoe, die einzige Polizistin von Margrave. Verräter gibt es stattdessen wie Sand am Meer …
Die Kritik
Zunächst fällt auf, dass es das wohl einzige Buch der Jack Reacher-Reihe ist, das aus der ich-Perspektive ist – besonders reizvoll für diejenigen Leser, die bereits einige der Bücher kennen. So lernt man Jack ganz anders kennen als durch die sporadischen Beschreibungen der nachfolgenden Bücher. Zugleich ist Band 1 mit einer der größten Tragödien aus Jacks Leben verknüpft, was zu einem ersten Kritikpunkt führt: Die Art der Verdrängung, die bei Reacher vorliegen muss, ist schon sehr extrem. Auch zum Schluss hin, als eigentlich die Anspannung abfallen sollte, erlaubt er sich kaum einen Gedanken an das Drama. Im Gegenteil: Der Fokus liegt auf seiner Brutalität, die er an den Tag legt. Klar, das Polizeipräsidium ist mehr korrupt als anständig, aber mal eben fünf Leute umzubringen? Das ist keine Grauzone mehr, selbst als Selbstjustiz lässt sich das nicht mehr einordnen. Insofern unterscheidet Band 1 sich sher stark von den späteren Werken.
Ein zweiter Kritikpunkt is die Bezihung zu Roscoe, die etwas zwischenmenschliches, emotionales ist. Das soll so wohl auch vermittelt werden, allerdings treten die Sex-Szenen deutlich in den Vordergrund – und sind doch so knapp beschrieben, dass es sowohl aus der Sicht der beiden Personen als auch des Autors mehr wie eine Pflicht erscheint. Die persönliche Verbindung hierzu fehlt also etwas.
Auf der anderen Seite ist dieser Ausflug in die Vergangenheit von Reacher schon sehr sehr sehr interessant. Man erfährt so manchen Gedankengang, den man in den anderen Büchern niemals finden würde. Sein Vagabundentum ist noch nicht glorifiziert, sondern eher eine Kuriosität, die vermutlich aus Geldgründen bald scheitern wird. Seine Brutalität wird noch abnehmen, sein Wissen über Menschen aber steigen. Es geht mehr um Politik als in den späteren Werken, der Kritik an einer Gesellschaft, in der Geld mehr als nur Tür und Tor öffnet. Menschen werden durch Passivität genauso kriminell wie die eigentlichen Verbrecher. Gleichzeitig geht es um den Widerstand gegen eine Sache, was ein aus der US-Vergangenheit bekanntes Motiv ist – in diesem Buch verkörpert durch zwei alte, schwarze Frisöre. Insofern gibt es schon ein wenig zu denken, ganz gleich aus welchem Jahr das Original stammt. Das Ergebnis ist ein Crossover aus Thriller, Ratgeber für bewusstes Leben und Tagebuch eines sehr speziellen Mannes unter 50.
Insgesamt liest sich das Buch sehr flüssig, flotter als Band 2 sogar und ist nicht nur was für Fans des unaufgeregten Thrillers für den Sommerurlaub mehr als geeignet!
Bettina Riedel (academicworld.net)
Lee Child. Größenwahn.
10,99 Euro. blanvalet.