Der Personalberater Heiner Thorborg beklagte kürzlich, Frauen würden ihr Licht generell zu sehr unter den Scheffel stellen. Dies läge auch daran, dass es auch wenig Frauen gebe, die Karriere machen würden und zu Vorbildern taugten. Oder sind es einfach die falschen Vorbilder, denen Frauen nacheifern? fragt sich Katharina Ohana.
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Flirt by Ondrea Barbe © Digital Vision Ltd.
Wir Frauen werden aktuell besonders von einem Vorbild regiert: dem superdünnen, superjungen Supermodel. Nichts zwingt schlaue, selbstbewusste, beruflich erfolgreiche Frauen mehr in die Knie, als die dummen, albernen Mädchen aus Heidi Klums Sendung, die als besonderen Preis ein Titelbild auf der Cosmopolitan gewinnen, oder all ihre doch noch etwas erfolgreicheren Kolleginnen in der Vogue oder der Palmersreklame, die in eine Size Zero Jeans passen und mit ein paar netten Fotos meist dürftig und zeitlich sehr begrenzt ihren Lebensunterhalt bestreiten. Und das Seltsamste daran ist: Auch die Supermodels selbst werden vom Jugend- und Schlankheitswahn permanent in Schach gehalten. Denn wer bei 1.80 Metern in Kleidergröße 34 passen muss, dem kann man zuschreiben, dass sich all seine Gedanken und Tätigkeiten auf die Kalorienverbrennung konzentrieren und ihm beziehungsweise ihr somit schlichtweg die Lebensfreude absprechen.
„Ich danke ja auch nicht täglich dem Erfinder der Glühbirne, wenn ich das Licht anmache“
Wie konnte es nach dem Aufbruch der 68er und trotz immer besserer Bildungsergebnisse der Frauen und Mädchen dazu kommen?
Die Antwort ist relativ einfach: Alice Schwarzer und Rita Süssmuth taugen nicht zu Orientierungsbildern. Kaum eine Frau möchte so kämpferisch und androgyn (um nicht zu sagen kampf-männisch) daherkommen und somit jeder Romantik und Partnerschaft eine direkte Totalabsage erteilen.
Das Auftreten dieser 68er Frauen war sicher notwendig, um überhaupt Bewegung in den selbstgefälligen Machismus der Nachkriegszeit zu bringen – entsprungen aus der Frauenfeindlichkeit des dritten Reichs und der meisten anderen Epochen davor. Doch wie Heike Makatsch einmal so schön in einem Spiegelinterview sagte: Ich danke ja auch nicht täglich dem Erfinder der Glühbirne, wenn ich das Licht anschalte.
Leider hat sich aus der Abkehr der „Schwanz-ab-Einstellung“ der Emanzen der ersten Stunde nicht ein starkes und weibliches Frauenbild entwickelt, sondern wir Frauen sind direkt zu den Prinzessinnenfabeln von „Sex and the City“ bis „Kate heiratet William“ (oder Tom) zurückgekehrt. Und schlimmer noch: Wie wir als Prinzessinnen auszusehen und uns idiotisch, unterwürfig zu verhalten haben, ist mittlerweile global universell festgelegt. Denn nur ein Vorbild ist heute noch stärker als das des Supermodels: das Supermodel im Brautkleid!
Die Bestellungen der genauen Kopie von Kate Middeltons Hochzeitskleid fand innerhalb von Stunden reißenden Absatz von Bombay bis Sidney, von Boston bis Shanghai, von Bochum bis Sao Paulo! Und wo hatte der liebe William seine Kate das erste Mal erblickt: Auf einem Laufsteg … Und auch die Mädels aus SatC hatten letztlich nur die Suche nach „dem Richtigen“ im Kopf, obwohl sie ja eigentlich erfolgreiche Anwältinnen, PR Beraterinnen und so weiter waren: Nichts war so wichtig wie die richtigen Schuhe zum angesagten sexy Outfit und das alles für die ach so süßen Typen – aber bitte mit Erfolg und fettem Bankkonto.
Warum gibt es aber keine weiblichen, intelligenten, individuell attraktiven, humorvoll-charmanten Vorbilder?
Die Schuldigen hierfür kann man getrost bei den Medien und in der Schönheitsindustrie suchen. Dieser riesige, global ausgerichtete Markt versucht seine Produkte mit viel Geld in den Medien zu platzieren, die dann ausführlich den sterilen, überzeichneten Prominenten Aufmerksamkeit zukommen lassen, die diese seltsamen Äußerlichkeitsregeln verkörpern und diese Produkte bewerben (die meisten Serien, genauso wie sämtliche Frauen- und Klatschzeitungen sind mittlerweile ein einziges großes Productplacement für Schönheit- und Luxusartikel, wobei man die Geschichten und Beiträge nicht mehr von der Werbung unterscheiden kann).
Und alle Beteiligten bekommen und verdienen viel Geld, indem sie den meisten Frauen auf diesem Planeten suggerieren: Du bist nicht perfekt, du bist nicht schön genug … und darauf kommt es an, denn nur wer richtig schön ist, hat ein tolles Leben und viel Aufmerksamkeit und viele Handtaschen und viel Erfolg bei den Männern. Am besten bei reichen Männern, denn dann musst du dich nicht mehr anstrengen für den ganzen Luxus und bekommst alles geschenkt. Und Kate Middelton hat jetzt einen tollen Etat für ihre Garderobe und muss nichts mehr machen, außer teuer schoppen und teuer gucken und bekommt dafür die maximale Anerkennung.
Sich anzustrengen, sich etwas zu erarbeiten, für etwas zu interessieren (was nicht mit Äußerlichkeiten zu tun hat) galt von jeher als Männerideal. Schon die Prinzessinnen in den meisten Märchen mussten nur wunderschön sein, um einen Prinzen zu bekommen. Und auch wenn Evolutionsbiologen uns unablässig mit zahlreichen Untersuchungen immer wieder bestätigen: Männern ist das Aussehen bei Frauen immer noch das Wichtigste (als Motivation für ihren eigenen Erfolg und ihre Genweitergabe) und Frauen ist der Status bei Männern wichtiger als alles andere (um den eigenen Nachwuchs und sich selbst während der Aufzucht gut durchzubringen) – man könnte sich einmal fragen, wie eigentlich so viele hässliche Kleinbürger überhaupt zu Kindern kommen? Und warum sehnen wir uns so nach „inneren Werten“, nämlich genau danach für unser „Ich“, unseren Charakter, unsere Besonderheiten, unsere innere Einzigartigkeit geliebt zu werden?
Partnersuche ist nicht alles. Doch leider ist sie in unserer Kultur zur Ersatzreligion aufgestiegen. Sie wird (besonders für Frauen) vor jeden anderen Erfolg gestellt: Partnersuche ist zum hauptsächlichen Lebenssinn und Lebensglück hochstilisiert worden. Und für diese Suche müssen wir Frauen eben wunderschön sein. Erfolg hindert da nur und greift den ersehnten Mann in seinem Selbstbewusstsein nur an. Die meisten Filme und Geschichten behandeln genau dieses Thema (wie haben sie sich gefunden – die romantische Akquisesituation – und was hat er sich ein Bein ausgerissen und war charmant und kreativ und das alles nur für sie, die ein wenig unbeholfen und tollpatschig, aber zuckersüß durchs Leben stolpert).
Leider setzt die Realität ihren Schwerpunkt auf die Phase danach, auf das „Und dann lebten sie ‚glücklich‘ bis an ihr Lebensende“. Es wird abgeblendet, bevor die ganzen Geschichten mit den Problemkindern, den sterbenden Eltern, den eigenen Verfall und Verlust: Was ist mit den Realitäten des Lebens? – zunehmenden Gebrechen, der plötzlichen Arbeitslosigkeit und den Falten und Oberschenkeldellen kommt. Und unser Leben besteht – besonders ab 40 – zum großen Teil aus diesen Themen. Da wird es plötzlich ziemlich egal, was für ein schickes Brautkleid man mal getragen hat, und dass man in eine Viktoria Beckham Jeans passt oder in ein sehr flaches Auto. Und genau in all diesen „Nachabspannsituationen“ wird eines gebraucht: Stärke! Und wie die Statistiken uns verraten, sind es gerade die Frauen, von denen diese gefordert wir, die diese selbstverständlich zu leisten haben – und es auch tun.
Medienbilder: Wenn Hintern wichtiger sind als Köpfe
Warum schaffen Frauen es dann aber vorher nicht ein ordentliches Gehalt für sich zu verhandeln? Warum stellen sie ihre Leistungen, ihr Können, ihre Qualitäten so unter den Scheffel?
Die Antwort liegt wiederum in der Dominanz der Medienbilder. Wie selten gibt es Berichte von erfolgreichen Businessfrauen und wie häufig von sexy Stars? Alle Leistungen und Talente jenseits von „Schön und sexy“ fallen hinten runter oder werden sogar als negativ bewertet.
Alle Herzlichkeit, Zwischenmenschlichkeit, Geduld, Durchhaltevermögen, emotionale Großzügigkeit werden völlig überblendet vom Status eines sexy Po. Da kann man es den Männern fast nicht übel nehmen, dass auch sie nirgendwo anders hinschauen. Auch sie haben es in unserer plakatierten Werbewelt nicht anders gelernt. Die Macht der Bilder stärkt immer nur die Sehnsucht nach diesen Äußerlichkeiten. Sie gehen direkt ins Hirn, wie Drogen, Glücksversprechen – total an der Realität vorbei. Und außerdem: Solange der Erfolg für die Männer reserviert bleibt, müssen sie ja auch keine neue Rolle finden.
Und wenn schon erfolgreich, dann bitte unweiblich. Alle individuelle Schönheit, eigene Stile und Darstellungsformen sind in der modernen Businesswelt unerwünscht. Frauen verkleiden sich als Männer, wenn sie in ihrer Welt Erfolg haben wollen. Alles andere lenkt ab – besonders die männlichen Kollegen auf ihrem Weg nach oben. Diese Uniformierung negiert die Weiblichkeit im Arbeitsalltag und umso mehr wird ihr dann mit Miniröcken und megahohen Schuhen außerhalb der Büros entgegengewirkt.
Erfolgswelt bleibt Männerwelt, mit männlichen Ansprüchen an totale Verfügbarkeit, Regeln des Aufstiegs und der Bewertung und Uniformierung. „Women, know your limits“, scheint am Eingang der Bürotürme zu stehen: Passt Euch an, wenn ihr hier schon rein wollt, geht ja keinen eigenen Weg. Selbst die vielbeschworenen weiblichen „Soft-skills“ werden in ihrer Reichweite genau bestimmt und in sterile Begriffe wie „Teamwork“ und „Kommunikationskompetenz“ gezwängt: Bitte keine Extravaganzen oder gar individuelle Weiblichkeit!
Warum sollten Frauen diese Welt anziehend finden? Wo können hier wirkliche weibliche gelebte Vorbilder entstehen?
Es gab mal eine Zeit, da waren starke, individuelle, charmante, gebildete und schlagfertige Frauen das höchste Ideal: Ich spreche von der Kultur in den großen Metropolen vor dem 2. Weltkrieg: Im Berlin, Paris oder New York der zwanziger Jahre lebten Frauen ihren weiblichen Charme und ihre Stärke nebeneinander und vor den bewundernden Augen der Männer, die sich damit auseinandersetzen mussten. Sicher gab es damals noch nicht wirklich Chefinnen. Und sicher können wir nicht mehr zu Hüten mit Gesichtsnetz oder Fuchsfell über der Schulter zurückkehren. Doch wir sollten uns weigern uns vom Regime der normierten Äußerlichkeit weiterhin gängeln zu lassen (und das gilt für Männer und für Frauen – es soll ja mittlerweile Männer geben, die sich schämen, wenn sie nicht auf den gängigen Modeltyp stehen). Wir sollten uns weigern, das hübsche, junge Paar, bei dem die Frau nach dem ersten Kind maximal noch Teilzeit arbeitet, als einziges Lebensmodell zu akzeptieren.
Es gibt völlig andere Modelle. Man kann sie sich aber nur individuell erschaffen und selbstbewusst gegen den Strom leben. Was wäre, wenn morgen niemand mehr Frauenzeitschriften und Klatschblätter lesen würde, wenn auf den Werbeplakaten nur noch reale Durchschnittsfrauen abgebildet wären? Wie lang würde es dauern, bis sich unsere Wahrnehmung verändern würde, der Geschmack wieder vielfältiger würde? Was wäre, wenn Angela Merkel und Frau von der Leyen und alle erfolgreichen Frauen zukünftig Kleider trügen und nicht nur bei der Eröffnung irgendwelcher Opernfestspiele (und ohne überbetontes Dekolleté, was wohl immer dem Mangel an geschulten und geübten Geschmack und Umgang mit Weiblichkeit geschuldet ist)? Vielleicht würde dann Weiblichkeit nicht mehr „mit sich klein machen“ gleichgesetzt. Vielleicht hätten Frauen dann mehr Anreiz zum Erfolg und echte, weibliche Vorbilder würden sich auch in der Businesswelt herausbilden. Vielleicht würden sich bewusst weibliche Frauen mehr trauen und besser für sich verhandeln. Denn eines ist sicher: Als verkleidete, zweitklassige Männer, die von übertriebenen Modelmaßen gegängelt werden und eigentlich auch nur geheiratete Prinzessinnen sein sollen, können Frauen nur schlecht ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln.