Bei dem Wort „agil“ denken viele wahrscheinlich an eine aktive, vielleicht sogar aufgeweckte Art. Im berufsspezifischen Kontext verbindet man damit eher Flexibilität und Selbstorganisation. Viele Unternehmen setzen immer mehr auf Agilität, wie auch Hochschulabsolvent:innen den Stellenausschreibungen entnehmen können. Franziska Dierick von der Gordion Projects GmbH arbeitet als agiler Coach und erklärt, was der Begriff Agilität konkret bedeutet, wie die agile Arbeitsweise immer mehr Einzug ins Berufsleben findet – aber auch, warum diese nicht für alle Arbeitnehmer:innen geeignet ist.
Frau Dierick, Sie beschäftigen sich mit dem Thema Agilität. Doch ist dieses Wort in so vielen Bereichen relevant. Welche Bedeutung können wir diesem Begriff in der heutigen modernen Arbeitswelt zuordnen?
Ein Studium bedeutet Selbstorganisation und -verantwortung, Teamwork und offenes, forschendes Arbeiten. Die Agilität bringt genau diese Arbeitsweisen in die Berufswelt zurück. Änderungen finden schneller statt und damit einhergehend die Einstellung auf neue Anforderungen. Entscheidungsbefugnisse und -kompetenzen sollen schneller stattfinden. Das heißt wiederum für jeden, der in einer agilen Umgebung arbeitet, dass man dazu bereit sein sollte, sich immer mit anderen abzustimmen und zusammenzuarbeiten. Die wichtigsten Kompetenzen sind gute Kommunikation und eine ordentliche Portion Selbstreflexion. Agilität hebt insbesondere die Diversität der Mitarbeiter:innen hervor. Wenn es einen eher zurückhaltenden Mitarbeiter gibt, darf dieser nicht weniger beachtet werden, als eher Extrovertierte. Jedem Mitarbeiter sollte Raum gegeben um sich zu entfalten.
Was heißt es konkret, agil zu arbeiten?
In erster Linie geht es um Selbstbestimmtheit und -verantwortlichkeit gepaart mit starker Teamorientiertheit. Kommunikationsstärke sollte sich durch ein Mit-, Unter- und Füreinander auszeichnen und nicht, wie es oft klassisch der Fall ist, nur von oben nach unten erfolgen. Agilität bietet mehr Facettenreichtum, um Potenziale aller Mitarbeiter:innen zu nutzen. Ich meine damit ein Mindset, das nicht aus starren Strukturen besteht, sondern flexible Herangehensweisen zulässt. Darunter fällt auch die Fehlerkultur. Nur wer auch hin und wieder „versagt“, kann wieder aufstehen und es mit der Erfahrung neu versuchen. Das ist lösungsorientiertes Denken. Im agilen Arbeiten sorgt das für schnelle Reaktionsfähigkeiten und schnellere Veränderungen.
Welche persönlichen Herausforderungen gibt es für Hochschulabsolvent:innen Ihrer Erfahrung nach bei der Umstellung von bisherigen Arbeitsstrukturen zu einem freieren Arbeitsumfeld?
In der „klassischen“ Arbeitswelt gibt das Unternehmen die Strukturen vor, unter denen gearbeitet wird. Die allermeisten Prozesse sind beschrieben und werden eingehalten. Bei der agilen Arbeitsweise werden nur grobe Leitplanken vorgegeben, innerhalb derer sich die Mitarbeiter:innen frei bewegen und organisieren. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und eine zeitliche Zusage zu machen, wann die Arbeit erledigt sein wird. Für einige Absolvent:innen sehe ich hier weniger eine Herausforderung, sondern vielmehr das Potenzial, dass sie ihre bereits agil orientierten Arbeitsweisen aus dem Studium hervorragend innerhalb der sich nun anpassenden Unternehmen einsetzen können. Doch das gilt nicht für alle: Auch viele junge Menschen sind in ihren Denkmustern festgefahren und entsprechend nicht agil veranlagt. Hinzu kommt, dass agiles Arbeiten nicht für jede:n etwas ist. Ich kenne genug Menschen, die gerne ihre Aufgaben zugeteilt bekommen, diese abarbeiten und sich so besser fokussieren können. Auch hier muss ein Verständnis entwickelt werden.
Sie erwähnten, dass ein Umstieg auf eine individuelle und freie Arbeitsweise Konflikte, gar Krisen auslösen kann?
Ich lese und höre immer wieder von Unternehmen, die agile Methoden eingeführt haben, dabei viel zu unüberlegt und zu schnell gehandelt haben. Fast alle Hierarchieebenen wurden abgebaut und die Mitarbeiter:innen waren quasi von einem zum anderen Tag angehalten, sich selbst zu organisieren. Es passierte Folgendes: Da es keine Absprachen darüber gab, wie gearbeitet werden sollte, haben die meisten das gemacht, was sie für richtig hielten. Es wurde am Produkt weitergebaut, ohne in Abstimmung zu gehen, es haben mehrere Mitarbeiter:innen mit dem Kunden gesprochen, ebenfalls ohne sich abzusprechen, mit dem Ergebnis, dass der Kunde unsicher wurde. Die Arbeit am Produkt wurde chaotisch, weil jede:r alles anfing, manches liegenblieb und letztendlich keine Termine eingehalten werden konnten. Das zieht einen riesigen Rattenschwanz nach sich und kann für ein Unternehmen durchaus zur existenzbedrohenden Krise werden. Dies ist natürlich ein sehr extremes Beispiel und ich hoffe, dass viele Chefs und Chefinnen sich vorher genau Gedanken machen wie sie den Prozess in die agile Arbeitswelt gestalten.
Was tue ich konkret, wenn ich als Berufseinsteiger:in merke, dass mir Agilität im Job nicht liegt?
Agiles Arbeiten ist keine Grundvoraussetzung für die heutige Arbeitswelt. An erster Stelle steht in meinen Augen, das persönliche Unbehagen gegenüber Agilität zu äußern. Deshalb rate ich immer zur offenen Kommunikation. Nur so ist es überhaupt möglich, Lösungen zur gemeinsamen Zusammenarbeit zu erarbeiten. Hier empfehle ich, sich Rat bei einem agilen Coach zu suchen. Grundsätzlich ist es die Aufgabe von Vorgesetzten, Scrum-Mastern oder agilen Coaches, mit diesen Herausforderungen umzugehen und die Mitarbeiter:innen abzuholen. Statt zu fragen, warum es nicht funktioniert, sollten sie eher Unterstützung anbieten und ihren Mitarbeiter:innen dabei helfen, „ihr Element“ innerhalb des Unternehmens und des Aufgabenfeldes zu finden.
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