Wenn man sich nach einer geraumen Weile dem siebten Band einer 8-teiligen Serie widmet, sollte man sich nicht nur die Zusammenfassung im neuen Band durchlesen, sondern vielleicht auch einen Blick in die vergangenen Rezensionen werfen – hier entlang:
Band 1, Band 2, Band 3, Band 4, Band 5 und Band 6.
Cera Nesti hat wider Erwarten das Drama mit Gyle überlebt und ist nun endlich wieder mit ihrem kleinen Bruder Timori vereint. Doch auch wenn sie Königinregentin ist, ist sie doch permanent in Lebensgefahr und eine Vertriebene. Ihr ehemaliges Zerwürfnis mit Elena sitzt tief in ihren Knochen. Sie würde fast alles tun, um das Vertrauen wieder herzustellen, doch muss einsehen, dass es aktuell wichtigere Dinge gibt und Elena selbst gar nicht so geneigt ist, die Freundschaft aufleben zu lassen. Für Cera gilt nun: Timori muss vor dem Volk als König verankert werden und sie das stürmische Schiff inmitten dieses Krieges (Gyle bläst zum Angriff auf Forensa) navigieren, denn die Brücke der Gezeiten versinkt demnächst wieder in den tosenden Fluten.
Elena und Kazim sind keine Affaire mehr, sondern führen eine gefestigte Beziehung. Die beiden kämpfen gegen eine scheinbare Übermacht und gegen all die Vorurteile, die ihnen entgegen schwappen: Schließlich ist er einer der Dokken und seine Aura untrennbar mit Elenas verbunden. Dass sie von unterschiedlichen Kontinenten stammen, ist also quasi das kleinere Problem. Doch die Lage, aus der sie Cera befreien müssen, braucht es eine sehr verrückte Idee von Elena – und einen weiteren Dokken, der seine Glaubensgrundsätze verraten muss …
Malevarion ist ein Seelentrinker und reist mit Huryia durch das Land – immer auf der Suche nach der Entschlüsselung der Skytale, die nicht nur das Geheimnis der Aszendenz für Magi, sondern auch die Erlösung der Seelentrinker von ihrem grausamen Schicksal verbergen soll. Ihre Leben sind aneinander gebunden, doch das hältkeinen der beiden ab, Pläne für die eigenen Interessen zu schmieden – komme was wolle und wenn es die Inquisition oder Dämonen in Menschengestalt selbst sind.
Alaron und Ramita führen einen Eiertanz auf: Sie kreisen umeinander, sie wissen um ihre Liebe, der Leser weiß es auch, aber geht mal was voran? Blöd nur, dass der eine Zwillingssohn immer noch bei Huriya gefangen gehalten wird. Nasatya ist nur leider nicht das oberste Gebot, denn immer noch steht das Schicksal von ganz Urte auf Messers Schneide. Können Sie Corinea vertrauen, der leibhaftigen Teufelin aus den Legenden des Arkanums? Können sie mit ihr auch ohne die Skytale die heißersehnte Ambrosia brauen und sich selbst mit der Macht eines Aszendenten versorgen?
… und dann wäre noch Ramon, das silacische Schlitzohr, der mit seinem Gold und den vergessenen Legionen eigentlich den Tigrates überschreiten wollte. Nur, dass dire Brücke dort zerstört ist und das Heer des Sultans nur einen bis zwei Tagesmärsche hinter ihnen her eilt – mit einer ausgeprägten Portion Rache im Sinn.
Die Kritik
Wow, was für eine lange Inhaltsangabe es für den rundum gelungenen siebten Band einer ohnehin schon spannenden Reihe sein muss. Es geht absolut nahtlos weiter – und wer schon zu lange aus Band 6 ausgestiegen ist, bekommt am Anfang wie immer eine Zusammenfassung der letzten Ereignisse. So kommt man als Leser zügig ins Geschehen und verfolgt, wie sich die Fäden entwirren und deutlich anspannen. Allen Charakteren hängt auf der einen Seite die sinkende Brücke im Nacken – und sie befinden sich alle noch mitten im Geschehen, keiner kann auch nur ansatzweise an Rückzug denken. Zum anderen ist die Möglichkeit, vom Magi zum Aszendent aufzusteigen kein Geheimnis mehr – plötzlich scheint es überall Gruppen zu geben, die an genau diesem Ziel arbeiten. Auch wenn dieses sagenhafte Ereignis rund um Corineus und seine Geliebte damals scheinbar von seinen Anhängern etwas anders überliefert wurde, als bisher sowohl Charaktere als auch Leser dachten. Hier deutet sich ein epischer Endkampf an, der nicht mehr auf der Ebene von Soldaten oder unerfahrenen Absolventen des Arkanums ablaufen wird, sondern ein wenig an Ragnarök erinnern dürfte. Die SPannung auf Band 8 ist also voll da und ungebrochen!
Die Handlung ist also p-r-o-p-p-e-n-voll mit Neuigkeiten, Problemen, Herausforderungen und teils neuen Hauptpersonen, während andere in die Schatten zurückkehren. Genau dieser Wechsel der Perspektiven ist es erst, die diesem Epos seine Tiefe geben und dem Leser vermitteln, an welch großen Geschehnissen er/sie gerade teilnimmt. Etwas langatmig wird es bisweilen, wenn Gurvon Gyle Strategien für Angriff und Verteidigung diskutiert. Während der Leser zwar leicht in die persönlichen Geschichten einsteigt, dürfte es bei den meisten Probleme bei der Geografie geben. Das Gute daran ist wiederum, das man dies getrost ignorieren kann, wenn man so gar nicht zurecht kommt.
Bevor es dann zu lauter einzigartigen Enden der persönlichen Schicksale gibt, holt David Hair noch mal den Vorschlaghammer heraus! Er offenbart ein absolut brenzliges Detail, nämlich was die Machthaber im Sommer 927, also ein Jahr vor dem Kriegszug (!), im Pallas eigentlich wirklich geplant haben. Und das ist nicht der Kriegszug an sich, sondern ein weit umfangreicherer Streich gegen die Mondflut, die Brücke, die Händler und allen anderen, die dem Reich Yuros auch nur ansatzweise im Weg stehen … Damit werden aus Feinden potenzielle Verbündete und aus Freunden echte Todfeinde. Das im Hintergrund zusammen mit sich weiterentwickelnden Charakteren, bildhafter Sprache und Abwechlsung bis zur letzten Seite machen aus „Die Brücke der Gezeiten“ eine von 4 Fantasy-Reihen, die ich im Leben wirklich immer und jedem Fantasy-Liebhaber empfehle.
Bettina Riedel (academicworld.net)
David Hair. Die Brücke der Gezeiten 7 – Die Verlorenen Legionen.
blanvalet. 15,00 Euro.