Bei einem Basketballspiel bohrt Peter seinem Kumpel Howard Axelrod einen Finger ins Auge und durchtrennt so den Sehnerv. Die Ärzte geben alle Hoffnung verloren, dass Axel jemals wieder mit beiden Augen sehen wird – er ist jetzt einäugig. Das geht mit Einschränkungen im Alltag einher, verliert er doch damit auch die Fähigkeit, Tiefe wahrzunehmen, was allein schon Treppensteigen zu einer kleinen Herausforderung macht. Axel schafft es nicht recht, in seinen Alltag zurückzukehren, daher wendet er sich von allem ab: Er zieht für zwei Jahre in eine einsame Waldhütte, wo er sich auf seine Existenz und das Leben an sich konzentrieren möchte.
Die Kritik
Es ist nicht so, als wäre er ein klassischer Einsiedler – die Hütte verfügt über Strom und damit eine kleine Küche sowie einen Telefonanschluss. Innerhalb von einer Stunde ist er bei einem Supermarkt. Trotzdem idealisiert er seine Zeit, in der er fast nur Instantnudeln zu sich genommen habe – das klingt viel eher nach „selbst schuld“ als „den Umständen entsprechend“. Darüber hinaus wirkt er immer wieder wie ein verwöhnter, weißer Junge, der ein großartiges Sozialexperiment wagt. Zum einen wird er es nicht müde, immer wieder auf sein Studium und seine Zeit in Harvard hinzuweisen, zum anderen stellt er sich im Umgang mit der Natur sogar etwas dümmlich an. In seinem Buch finden sich Formulierungen, dass er total überrascht gewesen sei, dass Schnecken sich nicht sofort verkriechen würden – liegt in der Natur der Sache, nicht wahr? Dann wieder beschreibt er, dass er in einer Art Racheanfall eine fast faustgroße Schnecke mit dem Rad überfahren hat, die, Zitat, „größte Schnecke, die mir je untergekommen war“. Für einen Stadtjungen, der keine Verbindung zur Natur hat, sicherlich ein großartiges Ereignis. Der persönliche Eindruck, den er vermittelt, ist also kein guter.
Der Schreibstil mutet bisweilen poetisch an, wobei das nach einigen Seiten auch langsam wirkt, sich hinzieht. Mit Sicherheit gibt es viele Naturspektakel oder Eindrücke, die man im wahrsten Sinne des Wortes blumig umschreiben kann. Wenn es sich jedoch stets wiederholt, bietet es dem Leser kaum Mehrwert.
Zudem fehlt ein richtiger Lesefluss. Anstatt einige übersichtliche Rückblenden einzufügen, springt er ohne ersichtlichen Grund hin und her in der Erzählzeit. Hier der Wald, dort das College, da der Wald, hier die Verletzung und dort eine Erklärung einer Studie, die er mal in Harvard lesen musste. Das erschwert das Lesevergnügen deutlich.
Inhaltlich besteht leider auch eine große Diskrepanz zwischen Titel, was der Untertitel suggeriert und worum es letztendlich geht. Obwohl er über 2 Jahre seines Lebens in der ich-Form schreibt, bleibt er seltsam distanziert, eine etwas unangenehme Person und der gewünschte gedankliche Tiefgang fehlt. Nicht zuletzt bleibt die Frage: Was macht man denn 2 Jahre im Wald? Nur spazieren, Schnecken beobachten, auf Eichhörnchen lauschen? Eine besondere Lebensweisheit hat sich aus dem Aufenthalt scheinbar nicht ergeben.
Bettina Riedel (academicworld.net)
Howard Axelrod. Allein in den Wäldern.
Kösel. 19,99 Euro.