Die Anästhesiologie zählt zu den vielseitigsten und abwechslungsreichsten Fachgebieten der Medizin. Für Academicworld geben Dr. Eckard Meinshausen und Dr. Christiane Hinrichs einen kurzen Einblick in das Berufsbild.
Herr Dr. Meinshausen, was macht den Beruf so reizvoll?
Der Anästhesist arbeitet Hand in Hand mit Vertretern vieler Fachgebiete in den Operationssälen sowie auf den Intensivstationen. Durch diese hohe Interdisziplinarität hat er ein breites Patientenspektrum zu betreuen. Jeder Patient stellt andere Anforderungen, so dass der Anästhesist seine Arbeit individuell ausrichten muss. Er betreut seine Patienten in der Regel während der kritischsten Phase der Krankheit. Hier ein vertrauenswürdiger und einfühlsamer Partner zu sein, sehe ich als faszinierende Herausforderung an.
Wichtige Voraussetzung ist vor allem Freude an Interdisziplinarität, denn die Anästhesie erfordert einen guten Überblick über die gesamte Medizin. Der Anästhesist muss ein wahrer Teamplayer und absolut verlässlich sein. Neben einem soliden manuellen Grundgeschick sollte er auch bereit sein, in Bereitschafts- und Schichtdiensten bedarfsentsprechend „rund um die Uhr“ Verantwortung zu übernehmen. Dass diese Sonderbelastung bei guter Organisation trotzdem familienverträglich sein kann, beweist der hohe Frauenanteil in unserem Fachgebiet.
Wie werde ich Anästhesist?
Für Studierende der Medizin sind Famulatur und das Praktische Jahr (Wahlfach) der beste Weg, das Fach kennenzulernen. Nach erteilter Approbation ist die berufsbegleitende Facharztweiterbildung in einer der von den Landesärztekammern zugelassenen Weiterbildungsstätten möglich. Die Weiterbildung dauert in Deutschland mindestens fünf Jahre. Es werden Kenntnisse der Anästhesiologie, aber auch der Intensiv- und Notfallmedizin sowie der Schmerztherapie vermittelt. Und der junge Anästhesist darf bei Eignung früh Verantwortung übernehmen. Wert gelegt wird deshalb auf hohen Praxisbezug durch Üben in simulierten Szenarien und in kritischen Live-Situationen. Darüber hinausgehende Qualifikationen in den vier Bereichen werden von vielen Anästhesisten nach der FA-Prüfung durch entsprechende Zusatzweiterbildungen erworben. Aufgrund ihrer interdisziplinären „Sozialisation“ übernehmen viele Kollegen später auch Funktionen, wie beispielsweise die des transfusionsverantwortlichen oder hygienebeauftragten Arztes oder des ärztlichen Direktors.

Fast 21.500 Fachärzte für Anästhesiologie sorgen hierzulande für den reibungslosen Verlauf operativer Eingriffe. Mit jährlich zehn Millionen Anästhesien in Deutschland betrifft Anästhesie jeden. Was Dr. Christiane Hinrichs an ihrem Beruf am meisten schätzt? Dass Anästhesisten stets den Patienten im Blick haben.
„Schlafen Sie gut!“, wünscht Dr. Christiane Hinrichs ihrem Patienten, während er Sauerstoff über eine Maske einatmet und die Narkosemedikamente gespritzt werden. Sobald die Anästhesie tief genug ist, kann der Eingriff beginnen. Die Fachärztin für Anästhesiologie überwacht die Vitalfunktionen des Patienten – alles im grünen Bereich. Hinrichs sorgt dafür, dass das auch so bleibt. Nach einer Stunde ist der Eingriff beendet. Sie übergibt den Patienten nach der Narkoseausleitung in den Aufwachraum.
Zu den Aufgaben eines Anästhesisten zählen neben der eigentlichen Narkose auch die Vorgespräche, in denen zum Beispiel die Auswahl des für den Patienten und den Eingriff optimalen Narkoseverfahrens getroffen wird. Auch die Visite nach der Operation übernimmt der Anästhesist. „Als vierfache Mutter arbeite ich derzeit in Teilzeit und werde hauptsächlich bei Operationen für wechselnde Fachabteilungen eingesetzt“, erzählt Hinrichs.
Alltag für Anästhesisten: Geistesgegenwärtig und schnell reagieren
„Bei einer Operation können jederzeit Komplikationen auftreten“, meint sie. Permanente Wachsamkeit, Geistesgegenwart und ausgeprägte Stressresistenz sind extrem wichtig. Schließlich muss ein Anästhesist schnell mit unerwarteten Gegebenheiten fertig werden. Doch auch andere Fähigkeiten sind gefragt. „Im Vorfeld einer Operation müssen oft verschiedene Zugänge und Katheter gelegt werden. Das verlangt manuelle Geschicklichkeit, ebenso wie die Intubation“, erläutert die 40-Jährige. Kommunikative Kompetenz und Einfühlungsvermögen helfen, dem Patienten im Vorgespräch eines Eingriffs Ängste und Sorgen zu nehmen.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit und breites Spektrum an Patienten

„Gerade die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen finde ich sehr spannend“, bemerkt Hinrichs. Operateure aus der Gynäkologie, Urologie, Chirurgie, aber auch der HNO oder Ophthalmologie zählt sie beispielsweise zu ihren Kollegen. „Der Blick über den Tellerrand hinaus ist schon allein deswegen wichtig, weil ich wissen muss, wie die Operationen in den unterschiedlichen Disziplinen ablaufen.“ Die fächerübergreifende Kooperation bringt es mit sich, dass die unterschiedlichsten Patiententypen mit verschiedenen Krankheitsbildern zu ihrer Klientel gehören.

Stand: Juli 2017