Bei einer Bewerbung gibt es vieles zu beachten. Doch was zählt am Ende mehr? Meine Noten oder doch die Persönlichkeit? Was neben Erfahrungen noch wichtig ist und auf welche Hinweise hin eine Bewerbung Sinn oder auch keinen macht erläutert uns Dr. Bernd Slaghuis. Mehr dazu auch im ersten Teil des Interviews.
Wie kann ich selbst mit weniger guten Noten einen guten Eindruck machen?
Noten sind natürlich wichtig, aber längst nicht alles. Mache dir bewusst, dass du vier Dinge mit in einen neuen Job für einen Arbeitgeber einbringst: (1) Fachwissen: Alles Erlernte, Bücherwissen, Ausbildung, Studium. (2) Erfahrungswissen: Wertvolles, das du etwa durch erste Berufserfahrung, eine Ausbildung, Praktika, ein Ehrenamt oder durch Auslandserfahrung gesammelt hast. (3) Deine Stärken und Talente: Was dir Freude bereitet und dir besonders gut liegt und (4) deine Persönlichkeit: Wie Du als Mensch „tickst“ und was andere über dich sagen, was sie an dir schätzen. Du siehst, das Fachwissen und die Noten sind nur ein Teil dessen, was dich als Bewerber auszeichnet.
Was glaubst du, für wen sich ein Arbeitgeber entscheidet: Den Bewerber mit 1,0 Abi und Prädikatsabschluss von der Elite-Uni, der alles besser weiß und im Bewerbungsgespräch seinen perfekt auswendig gelernten Elevator-Pitch aufsagen kann – oder den Bewerber mit mittelmäßigen Noten, der sympathisch rüberkommt und Lust hat, gemeinsam im Team Ziele zu erreichen? Ok, ich gebe zu, dieser Fall ist etwas konstruiert und es kommt natürlich auch auf die zu besetzende Position an, doch meine Erfahrung zeigt eindeutig: Fachwissen punktet, doch Persönlichkeit entscheidet.
Welche Schlagworte in einer Stellenausschreibung sollten mir das Signal geben: „Da lieber nicht. Lauf soweit du kannst“?
Es sind weniger einzelne Schlagworte, sondern vielmehr die Aufmachung einer Stellenausschreibung sowie das Gefühl, das du selbst beim Lesen hast. Lass die Anzeige als Ganzes auf dich wirken. Klingt das alles super spießig nach Hierarchie, Konzernpolitik und Anweisung und Kontrolle oder mehr nach guter Zusammenarbeit auf Augenhöhe und moderner Führungskultur? Sieh dir die Homepage des Unternehmens und die Karriereseiten an. Wie passt das alles zur Stellenausschreibung und welches Bild bekommst Du von diesem Arbeitgeber? Sinnvoll ist auch immer ein Blick in Arbeitgeberbewertungsportale, wie etwa kununu.com. Verschaffe dir einen guten Überblick über die Position und den Arbeitgeber und überlege dir, ob du dir vorstellen kannst, dort die nächsten Jahre viel Zeit deines Lebens zu verbringen.
Wenn du ein gutes Gefühl hast und du dir die Aufgabe zutraust, dann bewirb dich. Meine Erfahrungen mit Bewerbern zeigen, dass du frühestens nach einem Vorstellungsgespräch einigermaßen beurteilen kannst, ob dieser Job etwas für dich ist. Zu oft kommt es vor, dass sich Stellen im Gespräch als anders als aufgrund der Anzeige gedacht entpuppen und du nur so eine Entscheidung treffen kannst. Also lauf nicht weg, sondern schau neugierig hin.
Wer meine Bewerbung liest, hat großen Einfluss auf die nächsten Schritte. Wenn man also die Recruiter als Zielgruppe für sich selbst definiert, steht man vor einer großen Hürde: Mal ist ein Personaler älter oder jünger, beruft sich auf die unterschiedlichste Lebens- und Karriereerfahrungen und achtet daher auf unterschiedliche Kriterien. Kann man unter dieser Betrachtung überhaupt „die perfekte Bewerbung“ abliefern?
Diese Frage ist sehr wichtig und entscheidend für eine gute Haltung als Bewerber. Denn die meisten Bewerber machen sich einen wahnsinnigen Kopf über die Erwartungen auf der Gegenseite. Was denkt ein Personaler wohl über meine Bewerbung? Wie kommen meine Hobbies im Lebenslauf an? Habe ich nicht zu lange studiert und was ist mit dem halben Jahr Lücke zwischen Ausbildung und Studium? Wie sieht es aus, wenn ich den Nebenjob in der Kneipe aufführe und sollte ich schreiben, dass ich Kapitän der Fußballmannschaft bin – das zeigt ja schließlich Teamfähigkeit.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Zeit und Energie Bewerber dafür verwenden, sich Gedanken über irgendwelche Erwartungen von Recruitern und Arbeitgebern zu machen, die sie nicht kennen (können). Sie pimpen ihre Unterlagen, weil es so und nicht anders erwartet wird. Sie kopieren sämtliche Keywords aus der Stellenanzeige in Lebenslauf und Anschreiben und hoffen auf ein möglichst hohes Matching. Sie schreiben, was sie glauben, was Arbeitgeber hören möchten. Und am Ende klingt jede Bewerbung gleich: Langweilig, Schema-F, 08/15.
Mein Rat: Bewerber, bleibt bei euch! Macht euch „nackig“ und zeigt mir eurer Bewerbung klare Kante. Schreibt in der Bewerbung und sagt im Gespräch, was euch persönlich im Job wichtig ist, was eure Ziele für die nächsten Jahre sind und erzählt bei der berühmten Frage nach den Schwächen ehrlich, was ihr glaubt, in diesem konkreten Job in den nächsten Monaten wirklich noch lernen zu wollen. Ohne Schauspiel, kein Honig um den Bart schmieren, kein Anschreiben mit Schleimspur. Aus 10 Jahren Bewerbungs-Coaching weiß ich: Je mehr echte Klarheit Bewerber schaffen, umso höher ist die Einladungsquote und umso entspannter verlaufen die Vorstellungsgespräche. Auch wenn es euch manche Ratgeber einreden wollen: Es gibt nicht diese eine perfekte Bewerbung, sondern nur deine Bewerbung mit alldem, was ein vielleicht zukünftiger Arbeitgeber über dich erfahren sollte, bevor ihr gemeinsam einen Arbeitsvertrag unterschreibt.
Zu guter Letzt: Was ist dein wichtigster Tipp, den du einem Berufseinsteiger an die Hand geben möchtest, um Stellenanzeigen besser zu verstehen?
Sei kein Gefahrensucher, sondern ein Chancenfinder! Analysiere und interpretiere Stellenanzeigen nicht bis ins letzte Detail, sondern lasse sie als Ganzes auf dich wirken. Recherchiere Hintergrundinfos zum Unternehmen als Arbeitgeber und ordne die Stellenausschreibung hierzu ein. Bewirb dich auf Stellen, die du für deinen Berufseinstieg spannend findest und finde in den Gesprächen heraus, ob dies wirklich dein neuer Job für die nächsten Jahre bei einem zu dir passenden Arbeitgeber ist.
Autoren-Info:
Bernd Slaghuis ist als Karriere-Coach Experte für Berufseinstieg und Karriereplanung, berufliche Neuorientierung sowie Bewerbung auf Augenhöhe. In seinem Kölner Büro arbeitet er mit Absolventen und Angestellten an ihren nächsten Schritten im Beruf und begleitet sie bei Jobsuche und Bewerbung. Sein Blog „Perspektivwechsel“ zählt zu einem der meistgelesenen Karriere-Blogs in Deutschland, das Business-Netzwerk XING hat ihn als „Top Mind 2019“ ausgezeichnet.