Kaum hat man seinen Abschluss geschafft, wartet die nächste Hürde: Die Bewerbung auf eine Stelle. Bei der Suche nach dem richtigen Job durchsucht man viele Stellenanzeigen und stößt auf mehr oder weniger passende Beschreibungen einer Person oder Tätigkeit, die mit einem selbst zusammenpassen soll. Schon plagen einen die Selbstzweifel, ob man gut genug ist oder was von einem alles erwartet wird. Um mit dieser Ungewissheit aufzuräumen, haben wir bei Dr. Bernd Slaghuis nachgefragt, der als Karriere-Coach Bewerber und Einsteiger bei ihrem nächsten Schritt berät.
Bernd, das erste Stöbern durch Stellenanzeigen kann ja eine durchaus beunruhigende Wirkung haben, wenn man Schlagworte wie „überdurchschnittlich guter Abschluss“, „belastbar“ „Flexibilität“ und „hohes Engagement“ liest. Wie sind solche Anforderungen zu verstehen?
Stellenanzeigen wimmeln heute nur so von Worthülsen – sowohl in der Beschreibung der Tätigkeiten als auch bei den Anforderungen an Bewerber. Kommunikationsstark ist immer wieder mein persönliches Highlight. Wer soll sich als Jobwechsler hiervon angesprochen fühlen? Jemand, der gut mit Kunden telefonieren kann oder ein Meister in der Erstellung spannend bunter PowerPoint-Präsentationen? Jemand, der besonders kreativ und sprachlich anspruchsvolle Texte schreiben oder ergreifende Reden halten kann? Oder vielleicht jemand, dem es leichtfällt, Wissen zu vermitteln?
Bei den meisten dieser Begriffe ist völlig unklar, welche Erwartungshaltung konkret dahintersteckt. Es bringt nichts und es ist aus meiner Sicht Zeitverschwendung, alle diese Floskeln zu deuten. Wer es bis ins Vorstellungsgespräch schafft, der sollte seinen potenziellen zukünftigen Chef fragen „Woran werden Sie in unserer Zusammenarbeit konkret bemerken, dass ich (…) bin?“ Flexibel, durchsetzungsstark, belastbar, teamfähig, kommunikationsstark, engagiert, oder was auch immer. Erst dann können nämlich beide Seiten echte Klarheit schaffen, was diese Begriffe als Erwartungshaltung auf Arbeitgeber- und als individuelle Stärken oder Persönlichkeitseigenschaften auf Mitarbeiterseite wirklich bedeuten und sie bewerten. Lass dich von diesen pauschalen Schlagworten in Stellenanzeigen also nicht verunsichern und interpretiere sie nicht zu stark.
Muss man sie alle erfüllen?
Nein. Ich erlebe viele Bewerber in der Karriereberatung, die zu schnell inhaltlich eigentlich passende Stellen aufgrund der in der Ausschreibung aufgeführten Anforderungen für sich verwerfen. Ich kenne Personaler, die sagen, dass sich Jobwechsler auf ihre ausgeschriebenen Stellen bewerben sollen, wenn mindestens 60 Prozent der Anforderungen erfüllt sind. Ich persönlich empfinde diese Aussage jedoch zu allgemein und empfehle Bewerbern ein Vorgehen in zwei Schritten:
Schritt 1: Lies dir die Beschreibung der Aufgabe durch und versuche, dich in diesen Job hineinzuversetzen. Wie wird dein Tag aussehen? Mit wem wirst du in Kontakt sein, auf welchen Ebenen wirst du dich dabei bewegen? Welches Fachwissen wird nötig sein, um diese Position ausfüllen zu können? Über welches Erfahrungswissen solltest du verfügen, um schnell einsatzfähig zu sein und einen guten Job zu machen? Stelle dir am Ende die Frage: Traust du dir selbst diese Aufgaben zu?
Schritt 2: Wenn du Schritt 1 mit „Ja“ beantwortet hast, dann wirf einen Blick auf die Anforderungen. Gibt es klare k.o.-Kriterien, die eindeutig gegen eine Bewerbung sprechen? In der Anzeige steht etwa „Sie verfügen über mindestens 5 Jahre Berufserfahrung in der (…)-Branche“ oder „Sie haben in der Vergangenheit große Teams geführt“. Dann wäre deine Bewerbung bei solchen Formulierungen vermutlich Zeitverschwendung, wenn du als Berufseinsteiger Branchen-Neuling bist bzw. nie Mitarbeiterverantwortung hattest.
Achte auf Formulierungen, wie etwa „idealerweise“, „wünschenswert“, „zwingend“ und anderen Zusätzen zu Anforderungen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie wichtig bestimmte Kompetenzen wirklich sind. Und oft gilt noch: Je weiter oben in der Aufzählung eine Anforderung steht, umso wichtiger ist sie. Gibt es aus deiner Sicht keine eindeutigen k.o.-Kriterien, traust du dir den Job selbst zu und hast Lust auf diesen Arbeitgeber oder dessen Produkte, dann solltest du dich bewerben.
Gibt es deiner Erfahrung nach Aspekte, die Jobwechsler und Bewerber in Stellenanzeigen sehr leicht falsch verstehen?
Ja, denn viele Bewerber interpretieren aus meiner Erfahrung viel zu viel. Ein Beispiel: Aktuell entscheiden sich manche Arbeitgeber, Bewerber in Stellenausschreibungen mit „Du“ anzusprechen. Das soll modern wirken und nach trendigem New Work klingen. „Komm in unser Team“ und „Bewirb dich jetzt“. Solche Du-Stellenanzeigen begegnen mir immer häufiger – und dies über alle Positionen und Hierarchieebenen hinweg. Neulich brachte ein Klient die Anzeige eines mittelständischen Unternehmens mit, in der ein kaufmännischer Leiter gesucht wurde – per Du. Mit Studium sowie langjähriger Berufs- und Führungserfahrung. Mein Klient, Anfang 50, erfüllte sämtliche Anforderungen und hatte Lust auf diese Stelle sowie den Arbeitgeber, fühlte sich jedoch überhaupt nicht von der auf jugendlich getrimmten Ausschreibung angesprochen. „Die suchen doch nicht mich!“, war er sich sicher und hatte die Anzeige gedanklich bereits aussortiert. Er hat sich schließlich darauf beworben – konsequent auch per Du – und am Ende den Job bekommen.
Manchmal kommt es mir so vor, als ob Bewerber nur nach diesem einen versteckten Hinweis zwischen den Zeilen suchen, der es ihnen erlaubt, sich dort lieber nicht zu bewerben. Wenn du jetzt denkst „Ja, das stimmt“, dann steckst auch du in einer Haltung, in der du mehr Gefahrensucher als Chancenfinder bist. Du durchleuchtest jedes Wort, vermutest unerfüllbare Erwartungen und hinterfragst alles. Du bist der kritische Prüfer statt der neugierige Entdecker. Ich habe den Eindruck, viele Bewerber vergessen sie sich so selbst und verlieren mit der Zeit das Gefühl dafür, was sie fachlich als Arbeitnehmer und persönlich als Mensch wirklich auszeichnet.
Es heißt ja, dass Frauen sich nicht bewerben, wenn eine der Anforderungen nicht auf sie passt. Männer hingegen seien hier viel risikobereiter. Woher kommt dieses Verhalten und wie geht man als Frau „dagegen“ vor?
Ich mag kein pauschales Männer-Frauen-Schubladendenken, jedoch beobachte ich in den Coachings, dass sich Frauen stärker hinterfragen, wenn es um den Abgleich zwischen vorhandenen Kompetenzen und Stärken mit den Anforderungen an eine Position geht. Zunächst einmal ist dies jedoch etwas Gutes und schützt davor, unnütze Bewerbungen zu schreiben oder sogar im falschen Job zu landen. Denn schließlich geht es bei einer Bewerbung für einen neuen Job nicht um Risiken eingehen, sondern um die eigene Klarheit über seine Werte und Ziele im Beruf, die eigenen Stärken und eine Vorstellung davon, welche Arbeitgeber zu einem passen und was ein sinnvoller nächster Schritt im Beruf ist. Wer sich dessen bewusst ist, der tut sich leichter und die Wahrscheinlichkeit ist größer, die wirklich passende Position sowie Freude und Erfolg im Beruf zu finden.
Auf der anderen Seite erlebe ich viele Männer, die sich zu schnell und unreflektiert zu breit auf alle möglichen Positionen bewerben, die ihnen in die Hände fallen und irgendwie passend klingen. Manchmal muss ich sie sogar etwas einbremsen, denn das Risiko wäre viel zu groß, blindlings den nächstbesten Job zu nehmen.
Es geht bei der Suche nach Stellen und der Entscheidung für eine Bewerbung nicht um Mut oder Risikobereitschaft. Es geht um Selbst-Bewusstsein im wahrsten Sinne des Wortes. Wer sich seiner selbst bewusst ist, sein Wissen und seine Stärken richtig wertschätzen und bezogen auf eine potenzielle Stelle realistisch bewerten kann, der kann sich – unabhängig von Geschlecht – gut für oder gegen die Bewerbung auf eine Stellenausschreibung entscheiden.
Hier geht es weiter zum zweiten Teil des Interviews.
Autoren-Info:
Bernd Slaghuis ist als Karriere-Coach Experte für Berufseinstieg und Karriereplanung, berufliche Neuorientierung sowie Bewerbung auf Augenhöhe. In seinem Kölner Büro arbeitet er mit Absolventen und Angestellten an ihren nächsten Schritten im Beruf und begleitet sie bei Jobsuche und Bewerbung. Sein Blog „Perspektivwechsel“ zählt zu einem der meistgelesenen Karriere-Blogs in Deutschland, das Business-Netzwerk XING hat ihn als „Top Mind 2019“ ausgezeichnet.