Nach dem Abitur stehen alle vor der Herausforderung, den eigenen Weg in der Studien- und Berufswelt zu finden, insbesondere angesichts der Erwartungen von Familie und Freundeskreis. Anke Fehring, Coach, Autorin und Podcasterin, hat diese Erfahrungen selbst gemacht und weiß um die Schwierigkeiten, mit den Erwartungshaltungen des eigenen Umfelds richtig umzugehen.
Hallo Anke, stelle dich doch zunächst einmal kurz unserer Leserschaft vor.
Ich heiße Anke Fehring und bin seit über zehn Jahren selbständig als Coach, Autorin und neuerdings auch als Podcasterin. Bis Anfang 30 war mein berufliches Leben ein ziemlicher Zick-Zack-Kurs. Ich war unter anderem lange im Kulturmanagement tätig, was mir zwar viel Spaß machte, aber letztlich nicht „meins“ war. Es hat viel Zeit und Selbstreflexion gebraucht, um wirklich Schritt für Schritt meinen Weg zu finden. Und ehrlich gesagt war das teilweise ganz schön anstrengend. Deshalb habe ich heute den Schwerpunkt der Studien- und Berufsberatung und begleite leidenschaftlich gerne junge Menschen, die ihren Weg suchen.
Wie waren deine Erfahrungen mit dieser Thematik, als du Abitur gemacht hast?
Das Thema Erwartungen finde ich unglaublich wichtig, wenn wir über Studien- und Berufsorientierung sprechen. Wir denken da meistens an Eltern, die ganz direkt ihre Meinung sagen und wirklich bestimmte Berufswege vorgeben oder einfordern. Das habe ich persönlich nicht so erlebt. Aber was ich früher erlebt habe, sehe ich heute bei sehr vielen jungen Menschen auch: indirekte Erwartungen und den Druck, glücklich zu werden. Mit indirekten Erwartungen meine ich Kommentare, die uns beeinflussen, obwohl sie gar nicht unbedingt so gemeint sind: „Mit diesem guten Abitur studierst du doch bestimmt Psychologie oder Medizin!“, oder: „Du gehörst wirklich auf die Bühne!“, oder: „Wenn du mal Familie haben willst, ist dieser Beruf wahrscheinlich keine so gute Wahl?!“. Oft merkt unser Umfeld gar nicht, was sie mit solchen Kommentaren in uns auslösen können. Das zweite ist, dass immer mehr Eltern (wie meine damals auch) sagen: „Mach, was auch immer dich glücklich macht!“ Sie meinen das natürlich nur positiv, aber auch diese Erwartungshaltung kann Druck auslösen, denn oft wissen wir eben in jungen Jahren noch gar nicht, was uns glücklich macht. Diese Erwartung hat mich damals auch eher verunsichert, als dass ich es als Freiheit empfunden hätte.
Wann begegnet dir das Thema der Erwartungshaltung und in welchem Kontext?
Das Thema der Erwartungshaltung begegnet mir sowohl in meinen privaten Coachings rund um die Studien- und Berufsberatung als auch in den Seminaren, die ich für Universitäten und Stiftungen halte. Beziehungsweise spreche ich das Thema in beiden Kontexten proaktiv an, weil es – wie eben beschrieben – oft nicht so klar auf der Hand liegt. Das heißt, bei vielen schaffe ich überhaupt erst einmal ein Bewusstsein dafür: Was wird denn überhaupt von dir erwartet? Und wird das wirklich von dir erwartet, oder bildest du dir das vielleicht nur ein? Letzteres ist ein wichtiger Punkt, denn oft projizieren wir auch unsere eigenen Erwartungen auf andere – dann ist die wichtige Erkenntnis: Ah, die größte Erwartung habe ich selbst an mich! Aber natürlich gibt es auch Fälle, in denen die Eltern explizit sagen: „Wir möchten nicht, dass du studierst. Eine Ausbildung reicht.“ Oder umgekehrt. Das ist dann eine andere Herangehensweise. In diesen Fällen beobachte ich, dass diese Menschen meistens irgendwann ihren Kopf durchsetzen – wenn vielleicht auch erst im zweiten Anlauf etwas später im Leben. Das sind dann häufig sehr interessante und auch starke Lebensläufe.
„Es hat viel Zeit und Selbstreflexion gebraucht, um wirklich Schritt für Schritt meinen Weg zu finden.“
Welche Tipps hast du für unsere Leserschaft, mit dieser Erwartungshaltung etwa der Eltern umzugehen?
Ich würde im ersten Schritt immer empfehlen, sich bewusst zu machen, welche Erwartungen auf mir lasten und welche davon real sind beziehungsweise welche davon wirklich von außen kommen und welche eigentlich in mir selbst zuhause sind. Ich hatte mal einen Studenten, der sagte: „Natürlich wollen meine Eltern, dass ich das Studium zuende mache.“ Als ich ihn fragte, ob sie das jemals so gesagt hätten, musste er aber verneinen. Ja, vielleicht wollten seine Eltern wirklich, dass er das Studium zuende bringt. Vielleicht aber haben sie vom ersten Tag an gedacht, dass eine Ausbildung besser zu ihm passen würde. Wir wissen es nicht, wenn wir nicht mit ihnen sprechen! Egal, ob die Erwartungen real sind oder nicht – am wichtigsten ist die Klarheit in uns selbst.
„Finde Klarheit in dir, dann kannst du auch für deine Ziele kämpfen.“
Meine Mutter hat mir nach dem Abitur gesagt: „Ich glaube, Psychologie ist nichts für dich. Da ist so viel Statistik und Mathe drin.“ Ich habe mich auf jeden Fall davon beeinflussen lassen, aber ich bin mir sicher: Wenn ich den klaren Wunsch gehabt hätte, Psychologie zu studieren, hätte ich mich von diesem Kommentar nicht abhalten lassen. Insofern ist mein Tipp: Finde so viel Klarheit wie möglich in dir! Dann kannst du auch für deine Ziele kämpfen.
Wie kommt man denn zu dieser Klarheit, also wie findet man selbst heraus, was einem Spaß macht oder was man gut kann?
Tja, das ist wohl die 1 Mio-Euro-Frage… Natürlich gibt es hierfür viele Studien- und Berufsberatungs-Angebote – wie mein Coaching beispielsweise. (lacht) Aber ich gebe Euch drei Tipps schonmal mit auf den Weg: Ausprobieren, Strahlen und Geduld haben. Ich denke, das Ausprobieren ist klar. Probieren geht über Studieren. Ich hatte früher so viele Berufsideen, und meistens haben mir wenige Praktikumstage gereicht, um herauszufinden: upsi, ist doch nicht so meins. Das war zwar manchmal frustrierend, aber gerade wenn man viele Ideen und Interessen hat, ist das ein legitimer Weg, um Schritt für Schritt zu mehr Klarheit zu kommen. Mit Strahlen meine ich: Beobachtet, bei welchen Themen oder Aktivitäten Ihr besonders lebendig und begeistert seid und übers ganze Gesicht strahlt. Das klingt so banal, aber unser Strahlen kann uns viel Orientierung geben! Und last but not least: Habt Geduld! Manche wissen, was sie mal beruflich machen wollen, wenn sie in den Kindergarten kommen. Das ist schön! Das muss aber nicht so sein. Der Weg ist das Ziel. Und wie man an mir sieht: Auch Zick-Zack-Kurse machen glücklich. Sie verlangen uns in manchen Phasen viel ab, aber die Geduld zahlt sich aus. Versprochen.
Was wäre dein abschließender Tipp für die Orientierungszeit?
Es ist unglaublich hilfreich, sich mit der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Ich arbeite als Coach mit dem Persönlichkeitsmodell Enneagramm, das die Menschen in neun Typen unterteilt. Und gerade auf das Thema Erwartungen bezogen zeigen sich hier bestimmte Muster: Zum Beispiel haben Perfektionist:innen meist sowieso schon so hohe Ansprüche und Erwartungen an sich selbst, dass das Umfeld keine so große Rolle spielt. „Performer:innen“ hingegen leben von der Anerkennung von außen – da ist natürlich vorprogrammiert, dass sie sich (meist unbewusst) schnell von Erwartungen beeinflussen lassen. Auch hier gilt: Bewusstsein schaffen und dann gegebenenfalls die automatischen Muster durchbrechen, um den eigenen Weg zu finden.
Übrigens: Es gibt auch Persönlichkeitstypen, bei denen Erwartungen dazu führen, dass sie (vielleicht etwas trotzig) genau das Gegenteil machen! Das ist auch nicht immer der richtige Weg.
Insofern ist und bleibt mein Tipp: Schaut euch selbst sehr genau an, nehmt euch Zeit zum Reflektieren und vertraut darauf, dass ihr euren Zielen Schritt für Schritt näherkommt.
Nach ihrem Studium an der Universität Passau (Dipl. Kulturwirtin) und zwei Auslandssemestern in Boston arbeitete Anke Fehring fünfzehn Jahre lang im Kulturmanagement, bis sie 2013 ihre Firma verkaufte und ihrem Herz folgte, um Coach, Trainerin und Dozentin zu werden. Seit April 2024 hostet Anke den Start-up-Podcast der Stiftung der Deutschen Wirtschaft „Mut.Machen.Gründen“. Hier interviewt sie viele spannende Gründer und Gründerinnen zu ihren Start-up-Geschichten.