Die Folgen der weltweiten Staats- und Schuldenkrise setzen dem Bankensektor in Deutschland nachhaltig zu. Banken müssen sich neue Geschäftsfelder überlegen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Claus-Peter Praeg, Projektleiter des Innovationsforums „Bank & Zukunft“ am Fraunhofer Institut, erklärt die Herausforderungen der Branche sowie die Chancen und Perspektiven, die sich für Absolventen daraus ergeben.
von Claus-Peter Praeg, Projektleiter des Innovationsforums „Bank & Zukunft“ am Fraunhofer Institut
2020: Wie wird sich der Bankensektor bis dahin verändert haben?
Die Diskussion um die Rolle der Banken sowie die Struktur des Bankenmarktes in Deutschland wurde im Zuge der Staats- und Schuldenkrise neu entfacht. Eine bedeutende Folge der Entwicklungen sind ein rasanter Vertrauensschwund der Bevölkerung in die Bankenbranche insgesamt sowie ein nachhaltiger Imageschaden, der bis heute anhält. Der einstige Traumberuf „Banker“ mit all seinen vielfältigen Ausprägungsoptionen hat darunter stark gelitten.
Strenge Auflagen und Wettbewerb
Eine weitere Folge der Finanzkrisen ist die gestiegene Regulierungsdichte im gesamten Bankgeschäft. Sowohl im Investment Banking, in dem einige Produktkategorien in den vergangenen Monaten vom Markt genommen wurden, als auch im Segment mit privaten Kunden und im Firmenkundenbereich schlagen sich die Auswirkungen der Regulierung in der täglichen Arbeit nieder. So wurde sowohl die Beraterhaftung im Privatkundensegment weiter verschärft als auch die Dokumentationspflichten nach einem Beratungsgespräch erhöht. Die steigende Zahl der regulatorischen Auflagen und ihr zunehmender Umfang führen auch im Privat- und Firmenkundengeschäft zu immer stärkeren Einschränkungen des Gestaltungsspielraums der Banken.
Nichtsdestotrotz hält die Bankenbranche vielfältige, anspruchsvolle und spannende Möglichkeiten sowie Perspektiven für Absolventen bereit. Es ist zu erwarten, dass „Banking“ in vielen Bereichen in den kommenden Jahren noch anspruchsvoller werden wird als heute. Komplexe wirtschaftliche Beziehungen aufgrund der zunehmenden Globalisierung und die weiter fortschreitende Vernetzung der Wirtschaft führen zur Etablierung von branchenübergreifenden Prozessketten, in denen Banken oftmals eine wichtige Rolle spielen.
Gleichzeitig müssen sich Banken künftig noch stärker mit bisher branchenfremden Wettbewerbern auseinandersetzen als dies heute schon der Fall ist. Das Beispiel der elektronischen Bezahlverfahren zeigt, wie große IT-Konzerne und Telekommunikationsunternehmen in angestammte Geschäftsfelder von Banken drängen und aufgrund ihrer Marktmacht in der Lage sind, dort in kürzester Zeit eine maßgebliche Rolle einzunehmen. Diese Beispiele unterstreichen, dass sich Banken und ihre Geschäftsmodelle an die neuen marktlichen Bedingungen anpassen müssen.
Welche Optionen insbesondere im Privatkundenbereich Banken dafür zur Verfügung stehen, untersucht das Innovationsforum „Bank & Zukunft“ seit vielen Jahren. Unter der wissenschaftlichen Leitung des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) bündeln zahlreiche Banken und Dienstleister der Finanzbranche ihre Kompetenzen und erarbeiten praxisorientierte Konzepte und Lösungen zu Zukunftsfragen im Bankensektor. Wachstum gelingt im Bankenmarkt langfristig nur durch Wandel. Diesen gilt es, trotz zunehmender regulatorischer Auflagen und der damit verbundenen Bindung von Ressourcen und finanziellen Mitteln, zu gestalten. Kundennähe und – vernetzung entwickeln sich zu den zentralen Erfolgsfaktoren.
Es ist zu erwarten, dass „Banking“ in vielen Bereichen in den kommenden Jahren noch anspruchsvoller werden wird als heute.
Die Gestaltung künftiger Banken
Trotz des zunehmenden Wettbewerbs im Bankenmarkt und den skizzierten Auflagen, bieten sich Banken immer noch vielfältige Möglichkeiten, um innovative Geschäftsmodelle am Markt auszubauen. Unter der Bezeichnung „Kundenzentrierte Bank“ wurden durch das Innovationsforum vier Handlungsfelder erarbeitet, in denen es für Banken noch zahlreiche Differenzierungs- und Innovationschancen gibt:
1. Kunden kennen und verstehen
Zielsetzung in diesem Bereich ist es, Kunden und deren Bedürfnisse besser zu erfassen und verstehen zu können. Wie können Banken ihre Kunden besser kennenlernen und vorhandene Informationen in neue und bedarfsgerechte Lösungen überführen? Eine Möglichkeit dazu bieten soziale Netzwerke, in denen sich Banken intensiver mit ihren bestehenden und neuen Kunden vernetzen können. Daraus lassen sich Informationen erschließen, die Banken im Normalfall nicht im Beratungsgespräch erfahren würden. Insbesondere zählen Hinweise bezüglich ihrer Präferenzen und Bedürfnisse dazu, die wiederum Ansatzmöglichkeiten zur Entwicklung neuer Produkte und Leistungen nach sich ziehen können.
2. Kunden einbinden
Das zweite Handlungsfeld betrifft die Einbeziehung des Kunden in die Wertschöpfungsstrukturen und Innovationsprozesse. Zahlreiche Branchen anderer Wirtschaftszweige binden ihre Kunden bereits heute in alle Phasen der Innovations- und Wertschöpfungsprozesse ein, zum Beispiel durch entsprechende Innovationsplattformen. Der Bankensektor hat hier starken Nachholbedarf sowohl was die gemeinsame Ideenfindung mit Kunden als auch die Integration in die Wertschöpfungsprozesse betrifft. Insbesondere angesichts des zunehmenden Drucks der Anpassung beziehungsweise Erweiterung der traditionellen Geschäftsmodelle und Strategien werden viele Quellen neuer Ideen bislang nicht ausreichend mitberücksichtigt.
3. Kunden passgenau bedienen
Neben der intensiven Einbindung der Kunden in den Innovationsprozess zur Generierung neuer Ideen, müssen diese Ideen und Vorschläge entsprechend in Lösungen und Services umgesetzt und über die vom Kunden präferierten Wege bereitgestellt werden. In Verbindung mit der Wettbewerbsintensität bei Standardprodukten ergibt sich für Banken die Notwendigkeit zur Differenzierung. Im produzierenden Gewerbe ist man in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, neben den klassischen Produkten weitere damit in Verbindung stehende Dienstleistungen zu offerieren, um anhand dieser Produktbündelangebote eine aus Kundensicht einzigartige Marktposition erzielen zu können. Übertragen auf die Finanzbranche bedeutet dies, dass sich Banken künftig mit Mehrwertleistungen auseinandersetzen müssen, die auf den ersten Blick wenig mit dem klassischen Banking zu tun haben.
4. Banken fit für die Zukunft machen
Das vierte Handlungsfeld adressiert die interne Optimierung der Banken. Dabei geht es in erster Linie um Effizienzsteigerungen in den Organisationsstrukturen, den Geschäftsprozessen sowie im Einsatz der IT innerhalb der Bank. Die vor einigen Jahren begonnenen Maßnahmen zur Bankenindustrialisierung werden sich auch in den nächsten Jahren weiter fortsetzen. Dabei umfasst die Neugestaltung und Effizienzsteigerung die komplette Wertschöpfungskette von Banken, die weit über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus wirkt. Künftig werden damit organisatorische Optimierungen über Unternehmensnetzwerke hinweg gestaltet werden und nicht mehr nur in einzelnen Banken.
Um diese anspruchsvollen Ziele erreichen zu können, bedarf es entsprechend qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Banken. Aktuell sehen über 80 Prozent der im Rahmen der Trendstudie „Bank & Zukunft 2012“ befragten Banken in der Personalentwicklung die bedeutendste organisatorische Herausforderung, dicht gefolgt von der Personalrekrutierung. Auch hier müssen Banken neue Wege gehen, um auch zukünftig als ein wichtiger und interessanter Arbeitgeber konkurrenzfähig zu bleiben. Die Studienergebnisse verdeutlichen, dass der Bankmitarbeiter der Zukunft sowohl über eine starke Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenz als auch über eine hohe fachliche Qualifikation verfügen sollte. Nicht nur die Vernetzung mit Kunden, sondern auch die interne und bereichsübergreifende Vernetzung sind dabei zentrale Erfolgsfaktoren.
Anforderungen an künftige Mitarbeiter
Die Rolle der Mitarbeiter in Banken wird um viele Facetten erweitert werden. Einerseits werden Bankmitarbeiter sehr stark interdisziplinär arbeiten, um die vielfältigen Anforderungen der Kunden in entsprechende Lösungen überführen zu können.
Des Weiteren werden Bankmitarbeiter verstärkt als Navigatoren für Kunden tätig sein. Als solche sollen sie aus der Vielzahl von Informationen und Handlungsoptionen Kunden im Entscheidungsprozess zu unterstützen. Daher werden auch vielfältige Aspekte der Beratung künftig stärker in das Aufgabenspektrum rücken. Aufgrund der zunehmenden Forderungen nach individualisierten Lösungen, müssen Bankmitarbeiter im Rahmen von Beratungen in der Lage sein, diese Lösungen im Kundengespräch entsprechend konfigurieren zu können. Dazu muss ein bankspezifisches Expertenwissen um weitere Kompetenzen ergänzt werden. Insbesondere Projektmanagement und Expertisen im Geschäftsprojektmanagement und dem Management von IT werden künftig weiter an Bedeutung gewinnen.
Aktuelle Erhebungen bei Banken zeigen noch weitere Anforderungen auf. Für künftige Bankmitarbeiter werden vor allem die sogenannten Soft Skills als sehr wichtig eingestuft. Nahezu alle Teilnehmer der Trendstudie sehen in den kommunikativen und sozialen Kompetenzen die wichtigsten Anforderungen für die Mitarbeiter. Insbesondere vor dem Hintergrund der sich wandelnden Aufgaben im Rahmen einer stärkeren Kundenzentrierung und Herausforderungen, denen sich Banken gegenüber sehen, spielt eine gute Kommunikation sowohl gegenüber den externen Kunden als auch gegenüber den internen Kollegen und Dienstleistern eine sehr wichtige Rolle. Eng damit verbunden ist auch die Weiterentwicklung der interkulturellen Kompetenzen. Durch die zunehmende Globalisierung und die demografische Entwicklung in Deutschland wird es künftig auch im Banking an Bedeutung gewinnen, sich in verschiedenen kulturellen Umwelten sicher bewegen zu können.
Vielfältige Veränderungen stehen an
Daneben ist die Sicherstellung einer hohen fachlichen Qualifikation eine grundlegende Voraussetzung für mehr als 90 Prozent der Banken. Entsprechende Maßnahmen der Personalentwicklung wurden zuvor als wichtige Herausforderung adressiert. Auch hier deuten sich vielfältige Veränderungen an. An der Kundenschnittstelle wird der Anteil an einer individuellen Beratungs- und Entscheidungsunterstützung weiter zunehmen und setzt dabei andere Akzente in den geforderten Kompetenzen als dies heute noch der Fall ist. Ebenso werden in den Marktfolge-Bereichen die Koordination und Abstimmung bereichs- und bankenübergreifender Tätigkeiten weiter zunehmen. Diese werden auch langfristig die fachlichen Qualifikationsanforderungen sehr weitreichend verändern.
Als dritte Säule der Anforderungen wird die steigende Flexibilität und Mobilität von 78 Prozent der Entscheidungsträger angeführt. Vor allem im Bezug auf die Verbesserung der Erreichbarkeit von Banken sowohl in den Filialen über längere beziehungsweise veränderte Öffnungszeiten als auch über die anderen Vertriebskanäle, insbesondere über die internetbasierten und mobilen Wege, werden künftig verstärkt andere Arbeitszeitmodelle notwendig sein, um Kunden den erwarteten Service bieten zu können. Dazu kommt auch eine zunehmende Flexibilisierung des Arbeitsortes, sei es innerhalb der Bank durch die Einführung flexibler Bürokonzepte als auch im Bezug auf wechselnde Einsatzorte am Markt. „Work where you want“ wird zum Leitthema der neuen Arbeitskultur. Das bedeutet unter anderem, dass Tätigkeiten weniger determiniert, strukturiert und vorhersehbar sein werden als früher. Dabei steht die Ergebnisorientierung im Fokus der Arbeit.
Wie und wo dieses Ergebnis erarbeitet wird, liegt dabei im Ermessen der Mitarbeiter. Als Folge davon werden Eigenverantwortung und die Fähigkeit zum Selbstmanagement bei künftigen Mitarbeitern von Banken entsprechend bedeutender.
Die Anforderungen wachsen
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Anforderungen an Mitarbeiter bei Banken zunehmen werden, da diese sich in einer immer komplexer werdenden Umwelt zurechtfinden müssen. Sowohl die Arbeitsumfänge als auch die von Kundenseite geforderten Lösungen tragen dazu bei, dass Bankmitarbeiter künftig sehr flexibel und kooperativ mit Experten aus anderen Disziplinen und Bereichen zusammenarbeiten können müssen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Bankenbranche in den kommenden Jahren grundlegend wandeln wird. Damit sind viele Chancen und Herausforderungen für die Mitarbeiter verbunden, um neue Geschäftsmodelle in der Branche zu etablieren.

Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich des strategischen Managements von Banken, dem Management von Wertschöpfungsnetzwerken, Geschäftsprozessmanagement sowie IT-Service Management. Er ist der Autor der jährlich erscheinenden Marktstudie „Bank & Zukunft“ sowie zahlreicher weiterer wissenschaftlicher Publikationen.