Als Cäsar im März 44 v. Chr. erdolcht wurde, soll er sterbend einen seiner Mörder, den berühmten Brutus, angeklagt haben: „Auch Du, mein Sohn!“ Eine prägnante, wenn auch naive Sentenz für die Nachwelt, denn Cäsar, selbst ein knallharter Staatsmann, hätte es schließlich besser wissen müssen. Die Politik ist nun mal kein moralischer Lehrmeister, weder damals noch heute. George Clooneys brillantes Thrillerdrama „The Ides of March“, ab 22.12. im Kino, verschafft hierüber erneut Gewissheit.
Der hochambitionierte, idealistische Stephen Meyers (Ryan Gosling) geht völlig in seinem Job als Berater von Gouverneur Mike Morris (George Clooney) auf, der als einer der Bewerber für die Demokraten im Rennen ums Weiße Haus kandidiert. Aber dann wird ein kleiner Fehler, vielleicht aus Arroganz, vielleicht aus Naivität begangen, Meyers zum Verhängnis, öffnet ihm aber die Augen über die Machenschaften im Politbusiness. Er lernt seine bitterharte Lektion, verinnerlicht sie geradewegs, um zuletzt ganz oben auf der Karriereleiter zu stehen. Moralisch betrachtet ist er freilich ganz unten angekommen.
Wie alle guten Geschichten besitzt auch diese ungekünstelte Transparenz, birgt gleichzeitig die Komplexität universeller Wahrheiten, wie der Filmtitel indirekt andeutet. Dort, wo Macht und der Wunsch danach zusammentreffen, ist kein Platz mehr für Integrität oder Loyalität, auch wenn Kampagnenleiter Paul Zara (Philip Seymour Hoffman) letztere zum obersten Gebot in seiner Wahlkampftruppe erklärt hat. Stattdessen herrschen im günstigsten Fall Kompromisse, im schlechten Intrigen, im allerschlechtesten Erpressung. In allen dreien wird sich Meyers alsbald auskennen, hat er doch von den Raffiniertesten der Branche gelernt.

Die Taktik ist gewählt
Der Intrigant hat gewonnen
Besonderer Skrupel bedarf es ohnehin nicht: Es bleibt ja alles in der (Politik-)Familie. So wie die Kamera offene Räume eher meidet und die Mise-en-scène dem Geschehen eine durchlässige Kompaktheit verleiht, so sehr separieren sich Politiker von der Gesellschaft, verfolgen nicht das Allgemeinwohl, sondern eigennützige Absichten. Geschickt verschleiert versteht sich, nur um keinen öffentlichen Skandal zu provozieren.
„The Ides of March“ ist kein eindimensionales Message-Movie, vielmehr an die Paranoiafilme der 1970er Jahre gemahnendes, hochaktuelles Kino, wach, klug, dabei völlig unprätentiös. Es jongliert mit der nicht neuen, aber zeitlosen Erkenntnis, dass Politik schmutzig ist, dass Ränkespiele, Lügen und Verrat die wahren Wegbereiter der Macht sind. Für idealistische Individuen mit Wertvorstellungen bleibt in diesem von Zynismus getränkten Umfeld kein Raum mehr. Und das ist dann doch ein ungeheuerlicher Skandal.
(von Nathalie Mispagel, Kinoexpertin auf academicworld.net)
The Ides of March
Regie: George Clooney
Darsteller: Paul Giamatti, George Clooney, Philip Seymour Hoffman
Kinostart: 22. Dezember 2011
Im Verleih von Sony Pictures
Nathalie Mispagel lebt in Hassloch bei Frankfurt und studierte Jura, Allgemeine und Vergleichende Literatur- sowie Filmwissenschaft. Sie promovierte in Komparatistik und hat mit „New York in der europäischen Dichtung des 20. Jahrhunderts“ (erschienen bei Königshausen & Neumann) jüngst ihr erstes Buch veröffentlicht.
Die leidenschaftliche Cineastin schreibt seit zwei Jahren für academicworld.net.